Picknick auf dem Eis (German Edition)
verantwortlich. Infolgedessen aßen sie alle besser, da er deutsche Fruchtjoghurts und frisches Obst kaufte, und der Pinguin fand in seiner Schüssel gefrorene Krabben, was ihm außerordentlich gefiel.
»Warum hast du keinen Fernseher?« fragte Sonja eines Tages. »Magst du keine Zeichentrickfilme?«
»Nein, die mag ich nicht…« antwortete Viktor.
»Aber ich!« sagte das Mädchen ernsthaft.
Neujahr rückte näher. In den Schaufenstern tauchten mit Spielzeugen geschmückte Weihnachtsbäume auf. Auf der Kreschtschatikstraße bastelte man aus einzelnen Zweigen den größten Tannenbaum der Stadt. Die Leute sahen entspannter aus, und in den Zeitungen stand fast nichts über Schießereien und Explosionen, als wenn alle Einwohner Kiews, unabhängig von ihrem Beruf, in den Urlaub gefahren wären.
Viktor hatte schon ein Geschenk für Sonja zu Neujahr gekauft, versteckte es aber erst mal im Schrank: eine Barbiepuppe. Gemeinsam suchten sie einen kleinen Tannenbaum mit Ständer aus. Sie trugen ihn nach Hause und schmückten ihn mit Bändern und kleinen hölzernen Spielzeugen, die sie auf dem Dachboden gefunden hatten.
»Glaubst du an Väterchen Frost?« fragte Viktor Sonja so nebenbei.
»Ja«, antwortete Sonja verwundert. »Und du, glaubst du nicht an ihn?«
»Doch…«, sagte Viktor.
»Warte bis Neujahr und Väterchen Frost wird dir bestimmt ein Geschenk bringen!« versprach Sonja.
29
Viktor ließ Sonja zu Hause, kaufte Lebensmittel ein und fuhr zu Pidpalyj.
Pidpalyj empfing ihn wieder in seinem blauen Trainingsanzug und barfuß.
»Das ist alles für mich?« wunderte sich der Pinguinologe erfreut, als er das große, von Viktor mitgebrachte Eßpaket sah. »Aber nicht doch… Das wär doch nicht nötig gewesen.«
Unten in der Tasche, unter all den Lebensmitteln lag das Manuskript des Pinguinologen.
»Vielen Dank!« Viktor gab dem Alten sein Werk zurück.
»Hat es Ihnen genützt?«
»Ja, sehr.«
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich… Ich stelle Teewasser auf«, sagte Pidpalyj und eilte eifrig hin und her.
Es gab grünen Tee. Pidpalyj reichte Viktor eine nach oben breiter werdende Tasse ohne Henkel. Daneben stellte er eine weiß Gott woher stammende Dose mit kleingehackten Zukkerstücken von einem Block auf den Tisch. Sowas kannte Viktor nur aus alten Filmen.
Viktor nahm ein Stückchen Zucker, biß ab und löste den Zucker mit dem grünen Tee auf. Dann schielte er wieder auf die Dose.
»Zucker wird ja nicht schlecht…«, sagte Pidpalyj, als er den Blick seines Gastes auffing. »Ich habe vor langer Zeit mal drei Zuckerhüte gekauft und habe bis heute noch was davon… Früher hatte alles eine bessere Form und einen besseren Geschmack! Kennen Sie noch das ›Fleischbrot‹?«
Viktor schüttelte den Kopf.
»Sie haben die Zeit des Überflusses verpaßt«, sagte der Alte bedauernd. »In jedem Jahrhundert gibt es fünf Jahre Überfluß. Danach bricht alles zusammen… Ich fürchte, daß Sie den nächsten Fünfjahresüberfluß nicht erleben, ich schon gar nicht… Aber ich habe so eine Zeit wenigstens einmal erwischt… Wie geht es Ihrem Pinguin?«
»Gut«, antwortete Viktor. »Erinnern Sie sich, daß Sie von der Psyche der Pinguine gesprochen haben?«
»Ja natürlich…«
»Können sie einen überhaupt verstehen?« fragte Viktor.
»Natürlich, sie erkennen die Stimmungen von Menschen und anderen Tieren ganz ausgezeichnet. Außerdem sind sie sehr nachtragend. Aber an das Gute erinnern sie sich auch. Wissen Sie, ihre Psyche ist sehr viel komplizierter als zum Beispiel die von Hunden oder Katzen. Sie sind klüger und verschlossener und können ihre Gefühle und Sympathien verstecken.«
Als sie den Tee ausgetrunken hatten, schrieb Viktor seine Telefonnummer auf einen Zettel und überreichte ihn dem Pinguinologen.
»Wenn Sie was brauchen, rufen Sie mich ruhig an«, sagte er.
»Danke, danke. Rufen Sie mich auch an, kommen Sie mal wieder vorbei…«
Der Alte stand auf, Viktor bemerkte wieder dessen bloße Füße.
»Erkälten Sie sich nicht?« fragte er.
»Nein«, sagte Pidpalyj. »Ich mache Yoga… Ich habe ein Buch mit Fotos – da sind alle indischen Yogi barfuß…«
»Ich glaube, das ist nur, weil es in Indien keinen Winter gibt und Schuhe da sehr teuer sind«, meinte Viktor im Hinausgehen. »Auf Wiedersehen!«
»Auf ein frohes Neues!« rief Pidpalyj dem sich entfernenden Gast nach.
30
Einige Tage vor Neujahr entdeckte Viktor, nachdem er sehr früh aufgewacht war, im Wohnzimmer unter dem
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