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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Viktor. »Ich komme wegen der Pinguine.«
    Und obwohl Viktor seine eigene Erklärung völlig idiotisch fand, öffnete sich die Tür, und ein unrasierter, gar nicht so alt aussehender Mann in einem Trainingsanzug bat ihn herein.
    Viktor kam in ein großes Wohnzimmer. In der Mitte stand ein alter runder Tisch mit Stühlen.
    »Setzen Sie sich«, sagte der Hausherr, ohne ihn anzusehen.
    »Sie interessieren sich für Pinguine?« fragte er und sah Viktor an, während er gleichzeitig, ohne hinzuschauen, einen alten Zigarettenstummel von der dreckigen Tischdecke entfernte.
    Er ließ die Hand mit dem Zigarettenstummel unter dem Tisch verschwinden und legte sie ohne die Kippe wieder auf die Tischdecke.
    »Entschuldigen Sie«, begann Viktor. »Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht Bücher über Pinguine haben?«
    »Bücher?« fragte Pidpalyj verärgert. »Wozu Bücher? Ich habe eigene Untersuchungen, die nur noch nicht gedruckt sind… Ich habe mich seit mehr als zwanzig Jahren mit Pinguinen beschäftigt…«
    »Sind Sie Zoologe?« fragte Viktor so höflich wie möglich.
    »Eher ein Pinguinologe, aber natürlich werden Sie so eine Spezialisierung in der wissenschaftlichen Terminologie, bitteschön, nicht finden…« Pidpalyjs Tonfall wurde weicher. »Aber wieso interessieren Sie sich für Pinguine?«
    »Ich habe einen zu Hause. Aber ich weiß nichts über sie… Nicht daß ich etwas falsch mache…«
    »Zu Hause? Vortrefflich!« rief der Hausherr. »Woher haben Sie den denn?«
    »Aus dem Zoo. Ich habe ihn vor einem Jahr geholt, als sie die Kleintiere verteilt haben.«
    Pidpalyjs Gesicht verfinsterte sich.
    »Und was für einen haben Sie?«
    »Ich glaube, einen Königspinguin. Er heißt Mischa, er ist groß, so hoch wie dieser Tisch.«
    »Mischa!« Pidpalyj preßte die Lippen aufeinander und fuhr sich durch sein struppiges Haar. »Aus unserem Zoo?«
    »Ja.«
    »Mann, Sie machen ja Sachen! Warum haben Sie sich einen kranken Pinguin ausgesucht? Es waren doch sieben, wenn ich mich richtig erinnere. Adele, Sajtschik – die waren jünger und gesund…«
    »Was hat Mischa denn?«
    »Mischa hat ein depressives Syndrom und ein krankes Herz. Meiner Meinung nach ist es ein Geburtsfehler. Na, da ist also unser Mischa hingekommen…«, sagte er und seufzte tief.
    »Und was kann man mit ihm machen? Kann man ihn behandeln?«
    »Sie machen mir Spaß!« lachte Pidpalyj. »Heutzutage behandeln die noch nicht mal Menschen, und Sie reden von Pinguinen! Verstehen Sie, unser Klima ist für die Bewohner der Antarktis einfach verheerend. Das allerbeste für ihn wäre natürlich ein Leben in seiner Heimat, in der Antarktis. Seien Sie nicht böse, ich rede jetzt sicher Unsinn, aber wenn ich ein Pinguin wäre und in unseren Breitengraden leben müßte, würde ich mich aufhängen. Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Qual ist: zwei Fettschichten zu haben, die einen vor der bittersten Kälte schützen, und außerdem Hunderte von speziellen Blutgefäßen, die genau zu demselben Zweck vorhanden sind, und damit in einem Land zu leben, wo im Sommer vierzig Grad plus sind und im Winter kaum zehn Grad minus erreicht werden? Hm? Verstehen Sie, sein Organismus erhitzt sich, er verbrennt von innen her… Bei fast allen Pinguinen, die im Zoo leben, wurde das depressive Syndrom beobachtet… Man behauptet, Pinguine hätten keine Psyche. Und ich habe das Gegenteil bewiesen. Ich werde es auch Ihnen beweisen! Und das Herz! Welches Herz hält denn solch eine Überhitzung aus?«
    Viktor hörte Pidpalyj aufmerksam zu, der immer mehr in Wallung geriet und wild gestikulierte. Von Zeit zu Zeit stellte der Zoologe rhetorische Fragen, dann machte er eine kleine Pause, um Atem zu schöpfen und sofort wieder weiterzusprechen. Viktor hatte noch nie so viel über Pinguine gehört, über ihre Entwicklung, den Aufbau des Organismus und die Besonderheiten der Balzspiele. Schließlich spürte er leichte Kopfschmerzen. Wie konnte er den redseligen Alten nur zum Schweigen bringen?
    »Entschuldigen Sie, aber dürfte ich Ihre Aufzeichnungen lesen?« nutzte Viktor die nächste Pause nach einer rhetorischen Frage aus. »Ihre Forschungen über die Pinguine…«
    »Natürlich dürfen Sie das«, sagte Pidpalyj langsam. »Aber ich muß sie unbedingt wieder haben!«
    Er ging ins andere Zimmer. Durch die Tür sah Viktor in ein Arbeitszimmer. Pidpalyj stand gebückt vor einem breiten Schreibtisch und wühlte in einer der Schubladen herum. Schließlich richtete er sich auf und kam

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