Picknick auf dem Eis (German Edition)
Tannenbaum drei große bunt eingewickelte Päckchen. Er sah zu Sonja hinüber, sie schlief noch.
›Sollte sie etwa… ?‹ dachte Viktor. – ›Oder war es Väterchen Frost?…‹
Er wusch sich und ging in die Küche. Auf dem Tisch lag ein Umschlag.
›Was ist denn das?‹ dachte er. ›Erst schlechte Träume und jetzt auch das noch…‹
In seinem Traum hatte er sich vor irgend jemandem mitten in der Nacht in einer fremden Wohnung versteckt. Er hatte sich versteckt und angespannt in die Stille gelauscht, die immer wieder von kaum hörbaren Schritten und einer knarrenden Tür unterbrochen wurde.
Der Umschlag war zugeklebt. Viktor riß ihn auf.
»Frohes Neues Jahr!« stand da in gut lesbarer Schrift, fast wie gedruckt. »Danke wegen Sonja! Ihre und Deine Geschenke liegen unter dem Baum, die Geschenke für den Namensvetter im Eisfach. Ich hoffe, daß Du es im Neuen Jahr leichter hast. Schade, daß ich nicht kommen kann… Bis bald. Mischa.«
»Wer war bloß hier?« fragte sich Viktor und sah sich um, als ob er erwartete, jemanden in einer Ecke zu entdecken.
In der Diele überprüfte er die Tür: Alles war wie gewöhnlich, zweimal von innen abgeschlossen.
Viktor zuckte die Achseln und kehrte in die Küche zurück. Der genauso unverständliche wie eindeutige Vorfall führte ihn in eine Sackgasse. Die Türschlösser waren anscheinend keine Garantie mehr für seine Sicherheit oder sein Leben, und natürlich würden sie ihn im Falle einer Gefahr nicht schützen. Er war nicht erschrocken, nur verwundert.
Draußen wirbelte der Wind dicke Schneeflocken schräg durch die Luft.
31
Als Sonja aufwachte und die Geschenke unter dem Tannenbaum sah, freute sie sich sehr.
»Siehst du!« rief sie. »Väterchen Frost war da! Vielleicht kommt er nochmal?!«
Viktor lächelte spöttisch und nickte.
Nach dem Frühstück wollte Sonja die Geschenke auspacken, aber Viktor erlaubte es nicht.
»Da ist auch mein Geschenk dabei«, sagte er und hockte sich vor sie hin. »Und heute ist erst der 29. Dezember! Noch zwei Tage!«
Nur widerwillig war Sonja einverstanden zu warten.
Während sie mit dem Pinguin spielte und ihm ein Märchen erzählte, kochte sich Viktor Kaffee und setzte sich dann mit dem Gesicht zum Fenster an den Tisch.
Das Jahr, das so viel Unruhe in sein Leben gebracht hatte, ging zu Ende. Und auch seine letzten Tage waren seltsam, hinterließen verwirrte Gefühle und wirre Gedanken. Viktors totale Einsamkeit hatte sich in eine Halbeinsamkeit und eine Halbabhängigkeit verwandelt. Die träge dahinfließende Energie seines Lebens hatte ihn wie auf einer Welle an eine seltsame Insel gespült, auf der für ihn plötzlich Verpflichtungen auftauchten, aber auch das Geld, um ihnen nachzukommen. Jenseits der großen Ereignisse und des ganzen äußerlichen Lebens hatte er gar nicht erst versucht zu begreifen, was um ihn herum passierte. Er hatte es nie versucht, bis Sonja bei ihm aufgetaucht war. Und jetzt war das Leben um ihn herum plötzlich gefährlich unverständlich geworden, als hätte er den Moment schon verpaßt, in dem er es noch hätte begreifen können. Seine Welt bestand jetzt nur aus ihm selbst, dem Pinguin Mischa und Sonja. Aber diese kleine Welt schien ihm so verletzlich, daß er fürchtete, nicht genug Kraft zu haben, um sie – sollte irgend etwas Schlimmes passieren – zu verteidigen. Nicht etwa, weil er keine Waffe besaß oder kein Karate beherrschte. Nein. Diese kleine Welt selbst war zu brüchig, ohne richtige Verbindlichkeiten, ohne das Gefühl der Einheit mit einem anderen Menschen, ohne eine Frau. Sonja war ein fremdes Kind, das ihm nur eine Zeitlang anvertraut war. Und der Pinguin war krank und traurig; aber er mußte ja auch nicht mit dem Schwanz wedeln wie ein Hund und seine Dankbarkeit für jeden gefrorenen Fisch zeigen…
Das Klingeln des Telefons riß Viktor aus seinen Gedanken. Er ging ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab.
Es war der Chef.
»Ich komme auf ein halbes Stündchen zu dir, okay?«
»Okay.«
Er warf einen Blick ins Schlafzimmer, Sonja und der Pinguin standen sich gegenüber und sahen sich an.
»Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?« fragte das Mädchen den Pinguin streng.
›Sie sind fast gleich groß!‹ bemerkte Viktor erst jetzt.
»Also«, sagte Sonja zu dem Pinguin, »und dann nähe ich dir einen neuen Anzug, in einer ganz anderen Farbe…«
Viktor lächelte und zog sich leise zurück. Der Chef kam nach einer Stunde. Lange klopfte er sich den Schnee von
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