Picknick auf dem Eis (German Edition)
seinem Mantel ab. Schließlich kam er herein.
»Auf ein Gutes Neues!« sagte er und stellte eine schwere Tüte auf den Boden.
Sie gingen in die Küche. Igor Lwowitsch packte eine Flasche Sekt, Zitronen, einige Dosen und ein paar kleinere Tüten aus.
»Gib mal ein Messer und ein Brett her!« kommandierte er.
Gemeinsam schnitten sie Wurst, Käse und ein Baguette auf. Dann holte Viktor zwei Gläser.
»Hast du eine Katze?« fragte der Chef, als er auf dem Hocker neben dem Herd die Schüssel mit einem Fischkopf bemerkte.
»Nein, einen Pinguin.«
»Du machst Witze!« lachte der Chef.
»Nein, ich mache keine Witze! Komm, ich zeig ihn dir!«
Viktor führte den Chef ins Schlafzimmer.
»Und wer ist das?« fragte er und zeigte auf das Mädchen. »Ich denke, du bist nicht verheiratet?«
»Ich bin Sonja!« sagte die Kleine und betrachtete neugierig den unbekannten Onkel. »Und das«, sie zeigte auf den Pinguin, »ist Mischa…«
»Die Tochter eines Bekannten«, flüsterte Viktor leise, damit Sonja es nicht hörte.
Der Chef nickte.
»Schade, daß ich das nicht gewußt habe«, sagte er, als sie wieder in der Küche waren. »Ich hätte meinen Jüngsten mitgebracht. Der kennt Pinguine bis jetzt nur aus Bilderbüchern…«
»Bring ihn ein andermal mit!«
»Ein andermal?« wiederholte der Chef nachdenklich. »Natürlich, ein andermal. Er lebt mit meiner Frau seit einem Jahr in Italien… Dort ist es ruhiger.«
Der Chef griff sich die Sektflasche, blickte hoch und hielt den Korken fest, damit er nicht an die Decke flog. Dann schenkte er ein.
»Auf ein gutes Neues Jahr!« sagte er.
»Auf ein gutes Neues Jahr!« Viktor nahm sein Glas.
»Was machst du Silvester?« fragte der Chef und trank einen Schluck Sekt.
»Ich bleibe zu Hause…«
Der Chef nickte. Er spießte sich ein Stück Salami auf die Gabel und sah wieder Viktor an; jetzt lag Besorgnis in seinem Blick.
»Weißt du«, sagte er, »ich habe Neuigkeiten für dich, die sich ganz und gar nicht als Neujahrsglückwünsche eignen… Naja, es hat sich leider so ergeben…«
Viktor starrte den Chef gespannt an.
»Irgend jemand sucht dich. In der Redaktion haben einige Leute nach dem Autor der Nekrologe gefragt. Gut, daß außer mir und Fjodor niemand was weiß…«
»Und wieso suchen sie mich?« fragte Viktor, sein halbvolles Glas Sekt auf den Tisch stellend.
»Die Sache ist die«, sagte der Chef stockend, er suchte nach Worten. »Du hast den Auftrag der Zeitung sehr gut ausgeführt, du hast alles, was ich unterstrichen habe, in den Nachrufen untergebracht… Praktisch sind in jedem Nekrolog, neben der Aufzählung der Sünden des Verstorbenen, Hinweise darauf, wo man diejenigen suchen muß, denen dieser Tod sehr gelegen kam… Offensichtlich vermutet jemand, daß hier ein Spiel gespielt wird, daß man sie gegeneinander ausspielen will. Aber wir haben auch viel erreicht… Und wir werden noch viel mehr erreichen. Man muß nur die Taktik ändern.«
»Wir – das heißt die Zeitung?« fragte Viktor verwirrt und versuchte, sich zu erinnern, von wem er schon einmal dieses ›daß man sie gegeneinander ausspielt‹ gehört hatte.
»Nicht nur«, antwortete der Chef beruhigend. »In erster Linie nicht die Zeitung, sondern eher einige Leute, die das Land ein wenig säubern wollen… Mach dir keine Sorgen, unser Sicherheitsdienst ist den Leuten, die dich suchen, schon auf der Spur. Aber damit unsere Leute rechtzeitig fündig werden, müßtest du eine Zeitlang verschwinden…«
»Wann?« fragte Viktor verblüfft.
»Je eher, desto besser«, sagte der Chef ruhig.
Viktor saß mit gesenktem Kopf da.
»Hab keine Angst! Angsthaben ist gefährlich«, sagte Igor Lwowitsch zu ihm. »Überlege lieber, wo du dich verstecken könntest… Und weißt du was, ich will gar nicht wissen, wo du bist. Ruf mich einfach von Zeit zu Zeit an! Okay?«
Viktor nickte mechanisch.
»Und jetzt laß uns darauf trinken, daß sich bei mir wieder alles einrenkt!« Der Chef füllte wieder die Gläser. »Wenn bei mir alles in Ordnung ist, dann passiert dir auch nichts! Das verspreche ich dir!«
Viktor hob widerstrebend sein Glas.
»Trink, trink mit mir!« drängte ihn der Chef. »Seinem Schicksal entgeht man sowieso nicht! Und solange wir Sekt haben … zum Wohl!«
Viktor nahm einen großen Schluck und spürte ein Prickeln in der Nase. Fast hätte er sich verschluckt.
»Wenn ich dich nicht so sehr schätzen würde, wäre ich heute nicht zu dir gekommen!« verabschiedete sich der Chef und zog
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