Picknick auf dem Eis (German Edition)
Personalabteilung?«
»Links vom Haupteingang, hinter den Toiletten.«
Viktor bat Sonja, am Ausgang zu warten, und fragte in der Personalabteilung nach Pidpalyjs Adresse. Die bekam er sofort, schrieb sie auf einen Zettel und steckte ihn in seine Tasche. Dann nahm er Sonja an der Hand, und sie gingen zur U-Bahn.
26
Am nächsten Morgen beschloß Viktor, zum Chef zu fahren. Erstens, um ihm die längst fertigen Texte vorbeizubringen, und zweitens wollte er ihm beichten, oder nicht mal beichten, sondern einfach erklären, weshalb die Geschichte mit Jarkonitzkij passiert war.
»Kannst du alleine zu Hause bleiben?« fragte er Sonja nach dem Früstück.
»Ja, Papa hat mir das beigebracht«, sagte sie. »Nicht die Tür aufmachen, nicht ans Telefon gehen und nicht aus dem Fenster gucken. Richtig?«
»Richtig«, sagte Viktor und seufzte. »Aber aus dem Fenster schauen kannst du heute schon.«
»Ja?« freute sich Sonja, lief gleich zur Balkontür und drückte ihre Nase an die Scheibe.
»Na, was siehst du da?«
»Viel Schnee!«
»Ich komme bald wieder«, versprach Viktor.
Dreimal mußte er seinen Presseausweis vorzeigen, bevor er ins Büro des Chefs gelangte.
»Na, wie geht es?« fragte Igor Lwowitsch.
»Gut«, antwortete Viktor nicht ganz überzeugt. »Hier, ich habe die neuen Texte mit…«
»Gib her«, der Chef streckte die Hand aus. »Das hier ist für dich von Fjodor«, er händigte ihm eine dicke Mappe aus.
»Igor«, begann Viktor entschlossen. »Ich habe… Also… es scheint, daß ich an Jakornitzkijs Tod schuld bin …«
»Ach was!« lachte der Chef. »Was glaubst du denn, wer du bist?«
Viktor sah den Chef verständnislos an.
»Mach dir keine Sorgen, ich weiß alles«, sagte der schon etwas freundlicher.
»Alles?«
»Nein, nicht alles. Aber schon viel mehr. Na ja, und Jakornitzkij war sowieso längst fällig… Also mach dir keine Sorgen! Es wäre natürlich besser, wenn du dich nur mit deinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen würdest.«
Viktor sah den Chef fassungslos an, er war völlig verwirrt, aus irgendeinem Grund war er nicht imstande, dessen Worte zu begreifen.
»Also ist nichts Schlimmes dran…?« sagte er schließlich.
»Woran? Daß es einen Clan mit großen Machtansprüchen weniger gibt? Beruhige dich. Du hängst da nicht mit drin, und wenn, dann nur wenig. Komm, laß uns lieber einen Kaffee trinken!«
Der Chefredakteur bestellte bei der Sekretärin telefonisch zwei Kaffee. Dann sah er, nachdenklich an der Unterlippe kauend, Viktor aufmerksam an.
»Hast du keine Frau, keine Freundin?« fragte er.
»Nein, im Augenblick nicht…«
»Das ist schlecht«, sagte der Chef kopfschüttelnd. »Frauen stärken das Nervensystem der Männer. Und für dich ist es höchste Zeit, daß du dich mal um deine Nerven kümmerst!… Schon gut, ich mach bloß Spaß.«
Die Sekretärin brachte den Kaffee.
Viktor nahm sich einen zweiten Löffel Zucker, aber der Kaffee war zu stark und blieb bitter. Der bittere Geschmack erinnerte ihn wieder an seine Charkow-Reise.
»Muß ich nach Odessa fahren?« fragte Viktor plötzlich, als er sich an das Gespräch mit dem Chef vor der Reise erinnerte.
»Nein, nicht nötig«, antwortete der Chef. »Es gibt Leute, die es offensichtlich nicht sehr mögen, wenn wir uns mit der Provinz beschäftigen… Und wir haben hier ja auch genug zu tun. Also, mach dir keine Sorgen! Vor kurzem haben sie meinen Chauffeur ermordet, und ich bleibe ruhig wie ein Panzer, siehst du! Das Leben ist es nicht wert, daß man darum Angst haben müßte. Glaub mir!«
Viktor sah den Chef erstaunt an. Igor Lwowitsch saß in seinem Chefsessel, in einem eleganten Anzug, er trug eine französische Krawatte mit einer dicken goldenen Nadel. ›Ist ihm sein Leben so wenig wert?‹ fragte sich Viktor.
»Vor Neujahr müssen wir beide unbedingt noch zusammen ein Fläschchen leeren! Du hast doch nichts dagegen, oder?«
»Nein, mit Vergnügen«, antwortete Viktor.
»Gut«, der Chef erhob sich. »Ich sag dir noch Bescheid.«
27
Stepan Jakowlewitsch Pidpalyj wohnte im Erdgeschoss eines grauen Gebäudes aus der Stalin-Zeit, unweit der U-Bahn-Station Swjatoschino. Viktor klopfte sich vor seiner Haustür den Schnee von den Füßen und klingelte.
Er spürte, wie er lange durch den Spion begutachtet wurde, dann fragte eine scheppernde alte Stimme: »Zu wem wollen Sie?«
»Zu Stepan Jakowlewitsch«, antwortete Viktor.
»Und wer sind Sie?«
»Man hat mir Ihre Adresse im Zoo gegeben«, erklärte
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