Picknick auf dem Eis (German Edition)
sachkundig.
Das neue Jahr hatte begonnen. Auf dem Hof brannte das Holzfeuer und beleuchtete den geschmückten Tannenbaum. Von verschiedenen Punkten rundherum stiegen immer noch Raketen auf, und auf der Veranda wurde gefeiert, was das Zeug hielt. Sergej und Viktor berauschten sich am Sekt, Sonja an der Pepsi. Den Pinguin beachteten sie gar nicht mehr; er stand die ganze Zeit neben dem Zeitungstischchen. Die Garnelen hatte er aufgefressen, und jetzt liebäugelte er mit der kleinen Krake.
Das Feuer auf dem Hof war niedergebrannt, und sie schippten die glühende Kohle in eine eiserne Kiste, auf deren Ränder sie die ersten drei Schaschliks legten.
»Und die Geschenke?« fiel Sonja plötzlich ein, »wo sind meine Geschenke?«
Viktor griff wieder in die Tasche und zauberte zwei eingewickelte Geschenke von Mischa-Nicht-Pinguin hervor und sein eigenes, nicht eingewickeltes: die Barbiepuppe.
»Nein, so doch nicht!« schimpfte Sonja. »Leg sie unter den Tannenbaum!« Viktor brachte die Geschenke gehorsam zum Baum.
»Du hast auch ein Geschenk!« erinnerte ihn Sonja.
Nachdem Viktor die Geschenke in den Schnee unter den Tannenbaum gelegt hatte, kehrte er auf die Veranda zurück. Er betastete in der Tasche sein Geschenk, und dessen Form und Schwere ließ ihn erstarren. Ohne die Hand aus der Tasche zu nehmen, zerriß er das bunte Geschenkpapier und befühlte mit den Händen das kalte Metall. Jetzt bestand kein Zweifel mehr: Mischa-Nicht-Pinguin hatte ihm eine Pistole geschenkt. Viktors Hände zitterten. Er wickelte die Pistole unbesehen wieder in das Papier und schloß blitzartig die Tasche.
»Nun, wo ist dein Geschenk?« rief Sonja. »Wir müssen alles zusammen auswickeln!«
»Ich habe es vergessen«, rief Viktor. »Ich habe es zu Hause vergessen…«
Sonja ließ die Hände sinken und sah ihn an, wie Erwachsene gewöhnlich unartige Kinder ansehen.
»Na so was! Du bist so groß und vergißt dein Geschenk!« sagte sie.
Aber Viktor war schon auf dem Hof und blieb neben Sergej stehen, der vor dem improvisierten Grill hockte und die Schaschliks umdrehte.
»Komm, zeig deine Geschenke!« rief Sergej Sonja zu.
Sonja kroch unter den Tannenbaum, setzte sich auf den Schnee und zerriß geräuschvoll das Papier. Viktor hockte sich vor den Baum.
»Na, was hast du da?« fragte er bereits wieder ruhig und versuchte, echte Neugier vorzutäuschen.
»Ein Spielzeug«, sagte Sonja.
»Was für eins? Zeig mal!«
»Eine sprechende Uhr«, sagte Sonja. »So eine hab ich schon mal gesehen! Da, hört mal!«
»Genau ein Uhr!« sagte eine metallene Frauenstimme.
»Und was noch?« fragte Viktor.
»Weiß ich nicht…«, murmelte sie und befühlte das zweite Geschenk.
Mit dem Papier knisternd kroch Sonja unter dem Baum hervor und streckte Viktor das zweite Geschenk entgegen.
»Was ist das?« fragte sie.
Viktor sah ein dickes, mit einem Gummi zusammengeschnürtes Paket von Dollarscheinen in ihrer Hand.
»Was ist das?« wiederholte Sonja.
»Geld«, entgegnete Viktor leise und blickte verblüfft auf die Dollarscheine.
»Was hat sie da? Geld?« Sergej trat neben Viktor.
Er beugte sich hinunter, um das Geschenk besser sehen zu können, und erstarrte überwältigt.
»Das sind ja lauter Hunderter!« flüsterte er.
»Kann ich mir damit was kaufen?« fragte Sonja.
»Ja«, antwortete Viktor.
»Einen Fernseher?«
»Ja.«
»Und ein Haus für die Barbie?« fragte das Mädchen weiter.
»Kannst du auch…«
»Schön, gib her«, Sonja nahm den Packen Dollar. »Ich bringe es rein.«
Das Mädchen ging auf die Veranda.
Sergej starrte Viktor unverwandt an.
»Das ist von ihrem Vater…«, antwortete Viktor auf die unausgesprochene Frage.
Sergej biß sich auf die Unterlippe, ging zum Grill und hockte sich davor.
»Schade, daß ich keinen so lieben Papa hatte…«, flüsterte er.
Viktor hörte Sergej nicht. Eine neue Last lag ihm auf der Seele. Ihm schien, die Geschenke von Mischa-Nicht-Pinguin verpflichteten ihn zu irgend etwas. Er erinnerte sich an den ersten Zettel: »Du haftest mit deinem Kopf…« ›Unsinn‹, dachte Viktor, ›Hirngespinste in der Neujahrsnacht… Wozu brauche ich eine Pistole? Wozu braucht sie so viel Geld?‹
»Hör mal«, Sergej tippte an seine Schulter, »ich glaube, sie haben dich als ihren Erzieher angestellt… Und sie wird dich selber bezahlen!« lächelte Sergej. »Die Schaschliks sind fertig! Wir können essen…«
Viktor war froh, aus seinen Gedanken gerissen zu werden. Er stand auf. Sergej brachte gerade
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