Picknick auf dem Eis (German Edition)
noch Buntstifte sein, meine Nichte hatte immer welche hier.«
Sie brieten Kartoffeln, aßen reichlich zu Abend und brachten Sonja ins Bett.
»Ich werde nicht schlafen«, warnte sie das Mädchen. »Ich gucke in den Kamin und rufe euch, wenn er ausgeht.«
Und so war auch das beschlossen.
Viktor und Sergej setzten sich an den Küchentisch und holten sich vom Fensterbrett die geschliffenen Gläser des Vortags. Sergej goß beiden ein und stellte die leere Flasche auf den Boden.
»Noch ein Tag«, sagte Sergej. »Und das war’s. Dann wird alles genau so sein wie immer, nur das Jahr ist ein anderes…«
Um zwei Uhr nachts saßen sie immer noch in der Küche. Um es etwas wärmer zu haben, hatten sie die Kochplatte auf höchster Stufe angestellt. Die zweite Flasche Kirsch war ebenfalls leer, aber die Freunde fühlten sich unbegründeterweise völlig nüchtern, und nur eine momentane Faulheit hielt Sergej von dem bereits unvermeidlich scheinenden Besuch im Keller ab.
Plötzlich war auf der Straße eine Explosion zu hören. Die Fensterscheiben klirrten. Beide Männer zuckten zusammen.
»Gehen wir nachsehen, was los ist?« fragte Viktor unentschlossen.
Sergej stand vom Tisch auf, warf einen Blick ins Zimmer, Sonja murmelte etwas im Schlaf. Im Kamin brannten die Holzscheite.
Wieder in der Küche, nickte Sergej Viktor zu, und sie verließen das Haus. Auf der obersten Stufe der Treppe stand unbeweglich der Pinguin. Viktor beugte sich zu ihm hinunter.
»Anscheinend schläft er…«, flüsterte er.
In der Stille waren deutlich Stimmen vernehmbar, und obwohl man die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, klangen sie unverkennbar aufgeregt. Der Schnee knirschte unter den Stiefeln der im Dunkeln unsichtbaren Menschen. Alle hundert Meter ließen die einsamen Lichtkegel der Laternen auf der Hauptallee die Dunkelheit noch undurchdringlicher erscheinen, als wollten sie die hellen Stellen noch stärker von der Finsternis abgrenzen.
»Komm, gehen wir…«, sagte Sergej entschieden.
»Wohin?« Viktor sah sich um. »Wo war das?«
»Irgendwo in der Nähe…«
Sie liefen einen der Pfade entlang, der gleichzeitig die Grenze zwischen den Grundstücken bildete. Nach etwa hundert Metern blieben sie stehen und horchten.
»Da!« Sergej zeigte zur Seite, wo, durch die nächtliche Stille verstärkt, menschliche Stimmen zu hören waren.
»Einer von hier!…« ertönte eine heisere Stimme.
»Das ist Opa Wanja, der Wächter«, flüsterte Sergej.
Sie gingen näher und grüßten.
»Was ist hier los, Wanja?« fragte Sergej.
»Immer die alte Geschichte«, klagte der Wächter und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf einen im Schnee liegenden Körper.
Als Viktor genauer hinsah, bemerkte er, daß der Schnee um den Körper herum rot war und dem Körper etwas fehlte: ein Bein und ein halber Arm lagen mitsamt dem Ärmel einer wattierten Jacke ein Stück weiter entfernt.
Zwei Männer, ein großer im Trainingsanzug und ein etwas kleinerer, bärtiger in einer Daunenjacke standen schweigend daneben.
Man hörte, wie jemand angerannt kam, schonungslos den Schnee plattwalzend. Keuchend blieb ein Mann in einem Tarnanzug neben ihnen stehen. In der Hand hielt er eine Pistole.
»Was ist hier los?« fragte er schwer atmend.
»Da«, der Wächter richtete wieder den Strahl seiner Taschenlampe auf den Körper, der mit dem Gesicht auf dem Boden lag. »Einer von hier. Wollte was klauen und ist auf eine Mine getreten…«
»Aha«, sagte der Tarnanzug gedehnt und steckte seine Pistole weg: »Beim Versuch zu stehlen getötet…«
Plötzlich kam aus der Dunkelheit schwanzwedelnd ein Hund auf den Wächter zugelaufen, umkreiste seine Beine, lief zu dem liegenden Körper, beschnüffelte ihn, machte einen Sprung zur Seite, packte plötzlich den abgerissenen Arm und sauste mit ihm fort in die Dunkelheit.
»Bleib hier, Kumpel!« schrie der Wächter heiser. »Bleib stehen, du Idiot!«
Das Echo gab seine heisere Stimme wider, der Wächter schien selber erschrocken darüber und verstummte.
»Soll ich die Polizei holen?« fragte der Mann im Tarnanzug.
»Wozu zum Teufel?« entgegnete der Mann in der Daunenjacke. »Wir sind doch nicht hierhergekommen, um Zeugen zu spielen. Was sollen wir uns die Feiertage verderben!«
»Was machen wir dann?« fragte der Wächter niemanden Bestimmten.
»Komm, Schnee drüber, den feststampfen und ihn nach den Feiertagen… ausgraben…« sagte der Mann im Tarnanzug nach kurzem Überlegen.
Viktor spürte, daß ihn irgendwas
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