Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
zu Sonja und zeigte auf die junge Frau.
    Wieder ließ ihn die Peinlichkeit der Situation verstummen. Als ob er erwartet hätte, daß die beiden, nachdem sie vorgestellt waren, von selber anfingen zu reden und seine Anwesenheit überflüssig würde. Aber Sonja und Nina guckten sich an und schwiegen.
    Auch Viktor sah Nina an. Sie hatte ein rundes Gesicht und kurze kastanienbraune Haare, sie sah aus wie siebzehn. Eng anliegende Jeans unterstrichen ihre verhältnismäßig fülligen Formen, ein blauer Pullover spannte sich über einer kleinen Brust. Sie hatte etwas Teenagerhaftes an sich, vielleicht lag das an dem Lächeln, das Nina offensichtlich kontrollierte. Viktor fand rasch den Grund dafür heraus: Sie versteckte ihre gelblichen Zähne. ›Sie raucht sicher‹, dachte er.
    »Ich kann schon morgen anfangen…«, sagte Nina unvermittelt.
    »Und was machen wir?« fragte Sonja.
    Nina lächelte halb.
    »Was willst du denn machen?«
    »Ich möchte schlittenfahren!«
    »Hast du einen Schlitten?«
    »Onkel Witja, habe ich einen Schlitten?«
    »Nein«, gestand Viktor.
    »Macht nichts, ich bringe einen mit«, erklärte Nina schnell, als wolle sie einer eventuellen Ausrede von Viktors Seite zuvorkommen. »Ich wohne in Podol, die Verkehrsverbindungen sind gut…« Sie zuckte unsicher mit den Schultern.
    Viktor nickte.
    Sie einigten sich, daß Nina um zehn Uhr kommen und sich bis um fünf Uhr um das Mädchen kümmern sollte.
    Nachdem er die Tür hinter Sergej und Nina geschlossen hatte, seufzte Viktor in zweifacher Hinsicht erleichtert auf. Zu seiner Freude war das Geschäftliche nicht sehr geschäftlich abgelaufen, und außerdem hatte Sonja nun ein Kindermädchen. Viktor fühlte sich schon im voraus freier und gelassener.
    »Nun«, fragte er Sonja, als er ins Wohnzimmer zurückkam, »hat dir Nina gefallen?«
    »Ja, ganz gut«, antwortete die Kleine fröhlich. »Mal sehen, wie sie Mischa gefällt!«
    44
     
    Ninas Erscheinen befreite Viktor gleichsam. Nicht daß er vorher Sonja viel Zeit gewidmet hätte – nein, er widmete ihr jetzt genauso viel Zeit wie vorher. Sie guckten abends weiter traulich fern, frühstückten und aßen Abendbrot zusammen. Und trotzdem verließ ihn nicht das Gefühl, jetzt viel mehr Zeit zu haben, nicht unbedingt freie Zeit, sondern einfach Zeit; er dachte einfach weniger über Sonja nach und hörte überhaupt auf, sich Vorwürfe zu machen, daß er sich nicht mit dem Mädchen beschäftigte. Jetzt holte Nina Sonja morgens ab, und sie fuhren irgendwohin. Abends prahlte Sonja, müde vom Tag: »Wir waren im Wasserpark!« oder »Wir waren im Puschtscha Wodiza!«
    Viktor war zufrieden. Die Arbeit ging voran. Der Winter wurde milder. Der Pinguin wanderte wieder in der Wohnung herum. Einmal erschreckte er Sonja so, daß sie aufschrie. Sie schlief mit ausgestreckten Armen auf dem Sofa, und Mischa stieß an ihre Hand und schmiegte sich an sie.
    Sonja träumte sicher, und das Gefühl der körperlichen Wärme, die plötzlich in ihren Traum eindrang, hatte wohl bei ihr eine Schreckensreaktion hervorgerufen.
    Als Viktor mit den Militärs fertig war, beschloß er, sich einen freien Tag zu gönnen, deshalb auch zunächst den Chef nicht wegen weiterer Dossiers anzurufen. Es war ein sonniger Tag und draußen herrschte Tauwetter, nicht das erste und nicht das letzte Mal, bevor es endgültig Frühling werden sollte.
    Sonja und Nina waren spazierengegangen. Mischa-Pinguin kehrte nach einem reichlichen Frühstück ins Zimmer zurück und stellte sich neben die Balkontür, wo es einigermaßen kalt war.
    Viktor entschloß sich, den alten Pidpalyj zu besuchen.
    Auf dem Weg zum Oktoberkrankenhaus fiel er einige Male hin. Das Tauwetter spielte schlimme Streiche, alle Bürgersteige waren spiegelglatt. Zum letzten Mal rutschte er auf den Stufen zur onkologischen Abteilung aus.
    Ohne jemanden zu fragen, suchte Viktor allein den fünften Krankensaal. Das war ein großer Raum, der ihn an eine Sporthalle erinnerte. In gewisser Hinsicht glich er auch einer Kaserne, sicher wegen der streng aufgereihten Betten und Nachttische. Nirgends war eine Schwester zu sehen. Ein säuerlicher medizinischer Geruch waberte im Raum. Einige Betten waren mit Schirmen von den anderen abgeteilt.
    Viktor sah sich suchend um und entdeckte Pidpalyj in einem Bett am Fenster. Er lag da und starrte an die Decke. Viktor schien es, als sei sein Kopf kleiner geworden.
    Viktor zog einen schweren Hocker heran, der an der Tür stand, und setzte sich an das Kopfende des

Weitere Kostenlose Bücher