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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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setzten sich in die Küche. Draußen fiel nasser Schnee, dessen Flocken an der Scheibe kleben blieben.
    Sergej war aufgeregt.
    »Weißt du was«, begann er, »man hat mir angeboten, als Revierpolizist in Moskau zu arbeiten… Sie zahlen zehnmal soviel wie hier. Und ich krieg eine Dienstwohnung.«
    Viktor zuckte mit den Schultern.
    »Du weißt nicht, wie das Leben da ist…«, sagte er. »Schießereien, Explosionen…«
    »Das haben wir hier auch«, antwortete Sergej. »Aber ich geh ja nicht zur Miliz… sondern als Revierpolizist wie hier. Ich weiß nicht recht, soll ich für ein Jahr hinfahren, um Geld zu verdienen?«
    »Das mußt du selbst wissen…«
    »Ja, ich weiß«, Sergej seufzte. »Und deine Schwierigkeiten, sind die vorbei?«
    »Es scheint so«, sagte Viktor.
    »Ich hoffe es für dich«, nickte Sergej.
    »Hör mal«, Viktor sah seinem Freund fragend in die Augen, »kennst du nicht zufällig ein normales, anständiges Mädchen – ich suche ein Kindermädchen für Sonja… Jemand, der zuverlässig und nicht zu teuer ist?«
    Sergej überlegte.
    »Ich habe eine Nichte… sie ist zwanzig, arbeitslos… Soll ich sie fragen?«
    Viktor nickte.
    »Und wie viel würdest du ihr monatlich geben?«
    »Fünfzig Dollar?« schlug Viktor vor.
    »In Ordnung«, sagte Sergej.
    42
     
    Am nächsten Tag rief überraschend der alte Pinguinologe an. »Hier ist Pidpalyj«, sagte er mit schwacher Stimme. »Viktor! Bist du dran?«
    »Ja, ich bin’s.«
    »Bitte, komm zu mir«, bat Pidpalyj. »Mir geht es nicht gut…«
    Viktor schob die Arbeit auf und fuhr nach Swjatoschino.
    Der Alte war bleich, seine Hände zitterten. Unter den eingefallenen Augen schimmerte die Haut gelblich.
    »Komm rein, komm rein!« freute sich Pidpalyj.
    Viktor ging ins Zimmer. Dort war es warm und stickig.
    »Was haben Sie?« fragte Viktor.
    »Ich weiß nicht… Ich habe Bauchschmerzen. Seit drei Tagen kann ich nicht mehr schlafen…«, klagte der Alte, während er sich an den Tisch setzte.
    »Haben Sie einen Arzt gerufen?«
    »Nein«, Pidpalyj winkte mit der Hand ab. »Wozu? Wer bin ich schon für die? Was gibt’s bei mir schon zu holen?«
    Viktor rief den Notarzt an.
    »Das ist völlig sinnlos!« winkte der Alte wieder ab. »Die kommen und fahren gleich wieder weg, ich kenne die…«
    »Bleiben Sie sitzen, ich koche Tee!« befahl Viktor und ging in die Küche.
    Der Küchentisch war mit schmutzigem Geschirr und Speiseresten überhäuft. In den Tassen lösten sich feuchte Zigarettenstummel auf. Viktor goß Wasser in zwei Tassen und kippte es samt den Stummeln in den Ausguß, dann spülte er die Tassen aus und stellte den Teekessel auf.
    Die Zeit verging. Der Tee war fertig, die beiden saßen schweigend am Wohnzimmertisch und warteten. Über das Gesicht des Alten huschte ein ironisches Lächeln. Von Zeit zu Zeit guckte er Viktor an.
    »Ich habe dir erzählt, daß ich das Beste in meinem Leben schon hinter mir habe…«, sagte er mit schwacher, krächzender Stimme.
    Viktor antwortete nicht.
    Endlich klingelte es an der Tür. Ein Arzthelfer und ein Sanitäter kamen herein.
    »Wo ist der Patient?« fragte der Arzthelfer, während er mit den Fingern der rechten Hand verbrannten Tabak aus der gerade ausgemachten Zigarette drückte.
    »Hier!« Viktor wies auf den Alten.
    »Wo tut es weh?« fragte der Arzthelfer und sah den Alten an.
    »Der Bauch… hier«, der Alte zeigte mit der Hand auf die Stelle.
    »Soll ich Ihnen Dreierlei-Tropfen geben?« fragte der Arzthelfer und sah sich nach dem Sanitäter um, der mit säuerlichem Gesicht das Zimmer betrachtete.
    »Nicht nötig, das hilft nicht«, sagte der Alte, »die habe ich schon genommen.«
    »Was anderes haben wir nicht«, der Arzthelfer hob bedauernd die Arme. »Fahren wir!« Er winkte dem Sanitäter zu und wandte sich zur Tür.
    »Warten Sie!« sagte Viktor. Der Arzthelfer blickte ihn fragend an.
    »Was ist?« fragte er.
    »Können Sie ihn nicht in ein Krankenhaus bringen?«
    »Hinbringen können wir ihn, aber wer soll ihn aufnehmen?« Der Arzthelfer seufzte fast aufrichtig.
    Viktor zog fünfzig Dollar aus der Tasche und hielt sie dem Arzthelfer hin.
    »Vielleicht nimmt ihn doch jemand auf?« fragte Viktor.
    Der Arzthelfer wurde verlegen und sah noch einmal den Alten an, als wolle er dessen Wert schätzen.
    »Vielleicht im Oktoberkrankenhaus…«, sagte er achselzuckend.
    Dann rückte er nah an Viktor heran, nahm ungeschickt das grüne Scheinchen und steckte es in die Tasche seines schmutzigen Kittels.
    Viktor

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