Picknick auf dem Eis (German Edition)
und erzählte von exotischen Inseln. Am Ufer einer dieser Inseln lächelte sie den braungebrannten Ureinwohnern der Insel zu. Von Zeit zu Zeit wurden am unteren Bildschirmrand die Telefonnummern der Reisebüros eingeblendet.
»Warum hast du Sonja heute gefragt, ob sie nach Italien will?« interessierte sich Nina.
»Italien hat die Visumspflicht für die Ukrainer aufgehoben.«
»Dann könnten wir also dorthin fahren?« fragte Nina träumerisch.
Auf dem Bildschirm erschien wieder das hübsche blonde Mädchen, aber jetzt wärmer angezogen, im engen Trikotrock und in einer dunkelblauen Jacke.
»Schon seit einem Jahr«, begann sie, »arbeitet die ukrainische wissenschaftliche Forschungsstation in der Antarktis. In einer unserer früheren Sendungen haben wir uns an Sie mit der Bitte um Unterstützung gewandt, um ein Flugzeug mit Lebensmitteln für unsere Wissenschaftler zu starten. Viele von Ihnen haben reagiert, aber leider reicht das gesammelte Geld noch nicht. Ich wende mich hiermit an die Privatunternehmer und an andere kapitalkräftige Leute. Es hängt von Ihnen ab, ob unsere Wissenschaftler in der Antarktis weiter arbeiten können. Bitte nehmen Sie einen Kuli und ein Stück Papier zur Hand, gleich werden Sie die Nummer des Kontos sehen, auf das Sie Ihre Spenden überweisen können, und die Telefonnummer, unter der sie detaillierte Auskünfte erhalten, wofür Sie Ihr Geld ausgeben!«
Viktor lief in die Küche, griff sich einen Bleistift und ein Stück Papier.
Er kam noch rechtzeitig ins Wohnzimmer zurück, um die Konto- und die Telefonnummer aufzuschreiben.
»Wozu brauchst du das?« wunderte sich Nina.
Viktor zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht schicke ich denen zwanzig Dollar«, äußerte er unsicher. »Pidpalyj zuliebe. Erinnerst du dich, ich habe dir von dem Alten erzählt… Ich habe noch irgendwo einen Zeitungsausschnitt über diese Station…«
Nina sah Viktor mißbilligend von der Seite an.
»Eine völlig unnötige Geldausgabe«, sagte sie. »Das wird sowieso gestohlen… Weißt du nicht mehr, wie sie Geld für die Tschernobyl-Kinder gesammelt haben?«
Viktor schwieg.
Er faltete das Papier zusammen und steckte es in die Hosentasche.
›Das geht dich gar nichts an, wohin ich mein Geld schicke!‹ dachte er.
63
Ende März begann es zu regnen.
Mit dem Verschwinden der Sonne verflog auch Viktors gute Laune. Zwar arbeitete er wie immer, saß an seiner Schreibmaschine, aber er schrieb jetzt langsam und ohne Begeisterung, was jedoch die Qualität seiner Nekrologe nicht beeinträchtigte. Wenn er das gerade Geschriebene durchlas, war er jedes Mal zufrieden mit sich selbst. Seine Professionalität hing jetzt nicht mehr von Stimmungen ab.
Nina und Sonja saßen tagelang zu Hause.
Manchmal ging Nina einkaufen, und dann kam Sonja, wenn sie den Pinguin satt hatte, in die Küche und lenkte Viktor von seiner Arbeit ab. Er antwortete sehr geduldig auf die Fragen des Mädchens und seufzte erleichtert auf, wenn er die Tür auf dem Flur aufklappen hörte. Normalerweise lief Sonja sofort zu Nina, und Viktor kehrte zu seinem Text zurück.
Als Ljoscha ihn dann anrief und eine Beerdigung für den nächsten Tag ankündigte, fiel Viktors Stimmung endgültig in den Keller. Zehn Minuten lang redete er und versuchte, Ljoscha zu erklären, daß es draußen kalt und feucht wäre, daß es ununterbrochen regnete, daß er gräßliche Laune hätte und außerdem befürchtete, Mischa könnte sich erkälten. Ljoscha hörte sich alles geduldig bis zum Ende an und erklärte ihm dann, daß Viktor selbst gar nicht so wichtig wäre. »Die Hauptsache ist das Tier. Du kannst zu Hause bleiben. Ich hole den Pinguin ab und bringe ihn danach zurück«, sagte er zum Schluß. »Auf dem Friedhof werde ich einen Regenschirm über ihn halten, damit er sich nicht erkältet!«
Diese Lösung gefiel Viktor.
›Das ist schon der halbe Sieg‹, dachte er, zufrieden, wenn er bloß nicht zu dem Begräbnis mußte.
Und obwohl ihm der Pinguin leid tat, konnte er hier nichts für ihn tun: Die Konsequenzen waren zu offensichtlich, hätte er plötzlich beschlossen, den Pinguin nicht an das Grab des Verstorbenen zu lassen.
Viktors Entschlossenheit während dieses Gesprächs mit Ljoscha zahlte sich hundertfach aus. Das nächste Mal bestand Ljoscha überhaupt nicht mehr auf Viktors Teilnahme am Begräbnis. Und so trafen sie auch für die Zukunft folgende Vereinbarung: Ljoscha würde Mischa abholen und ihn wieder zurückbringen. Aber das
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