Picknick auf dem Eis (German Edition)
niemanden seinesgleichen hatte finden können?
Viktors Hand zuckte, als habe eine chemische Reaktion zwischen zwei unvereinbaren Elementen stattgefunden. Er ließ die Pistole auf den Teppich fallen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Seine Handfläche war merkwürdig weiß, als ob die Kälte und die Schwere des Metalls alles Blut aus ihr herausgesogen hätte.
Seufzend stand Viktor vom Boden auf, steckte die Pistole in die Jeanstasche, sah wieder in den Spiegel und bemerkte, daß der schwarze Griff hervorguckte und die Pistole überhaupt gut erkennbar war.
Er machte den Schrank wieder auf, fand eine alte blaue Windjacke mit Kapuze, zog sie an, betrachtete sich wieder im Spiegel: jetzt war alles in Ordnung. Nur die Sonne, die auf den Teppich schien, erinnerte daran, daß die Windjacke nicht sehr passend war. Der Tag versprach sommerlich warm zu werden.
Viktor zog den Reißverschluß der Windjacke hoch und verließ die Wohnung.
Im Wasserpark war es wieder voll.
›Na klar, es ist ja Sonnabend‹, dachte Viktor, als er sich an den Tisch eines der Straßencafés setzte.
Er blickte sich um und entdeckte zu seiner Beruhigung noch mehrere Leute, die nicht dem Wetter entsprechend angezogen waren. Normale Verrückte. Sie konnten ja schließlich nicht alle so warm angezogen sein, um ihre Waffen zu verstecken! Ein Mann hatte sogar eine richtige Winterjacke an. Aber der war etwas älter als Viktor, und sein Alter konnte ihn voll entschuldigen.
»Einen Kaffee und einen Kognak«, bestellte Viktor bei dem fragend vor ihm stehenden Kellner.
Plötzlich fiel ein Schatten auf den Platz vor der U-Bahn voller Tische und Kioske. Viktor sah zum Himmel und freute sich, daß eine Wolke aufgetaucht war. Das Wetter paßte sich seiner Kleidung an.
Während er auf Kaffee und Kognak wartete, sah er sich aufmerksam um. Nina und Sonja waren nicht zu sehen, aber Viktor wußte, daß sie hier irgendwo in der Nähe waren, und machte sich deswegen auch keine Sorgen.
Nach etwa fünfzehn Minuten ging er die Allee hinunter an den Tennisplätzen vorbei bis zu den Ruinen des Restaurants ›Jägerklause‹ und zurück. Dann überquerte er die Brücke zu der anderen Seite des Wasserparks und schlenderte an den Bänken vorbei, auf denen er gestern Nina mit dem neugierigen Kolja gesehen hatte.
›Macht nichts‹, dachte er. ›Wir werden schon bald erfahren, wozu er mein Foto braucht…‹
Die Allee war zu Ende, mündete in einen kleinen Pfad, und Viktor kehrte wieder um. Mitten auf der Brücke über dem Kanal blieb er stehen, lehnte sich auf das Geländer und betrachtete das rechts unter ihm vorn am Kanal liegende Restaurant ›Die Mühle‹. Auf der großen Terrasse saßen zwar einige Leute, aber die, die er suchte, waren nicht dabei. Und auf dem Parkplatz vor dem Restaurant stand ein langer silbriger ›Lincoln‹, anscheinend genau so einer, wie ihn Mischa-Nicht-Pinguin gehabt hatte.
Die Sonne kam wieder hervor, und ihr plötzliches Erscheinen ließ die schwarzweiße Umgebung zum Farbfoto werden. Das smaragdene Wasser des Kanals wurde lebendig und spielte mit den Farben. Der weiße Zement des Geländers färbte sich gelb, und Viktor spürte unter der rauhen Oberfläche so etwas wie Wärme im Innern des Zements.
Er kehrte zum Straßencafé zurück und blieb jäh stehen, als er Nina und Sonja an einem der Tische erblickte. Sonja löffelte einen Eisbecher, Nina trank Kaffee.
›Und wo ist der neugierige Fettsack?‹ dachte Viktor.
Er sah sich wieder nach allen Seiten um.
Er suchte sich einen etwa dreißig Meter von Nina und Sonja entfernten Tisch aus und bestellte Kaffee.
Nina und Sonja unterhielten sich. Von Zeit zu Zeit sah Nina zum U-Bahneingang.
So vergingen vielleicht zwanzig Minuten. Der Kaffee war ausgetrunken, und Viktor vergrub sich in seine Erinnerungen.
Nach einer Weile sah er wieder zu Nina und Sonja hinüber. Die saßen jetzt zu dritt am Tisch, und die Kellnerin brachte dem Fettsack einen Kaffee.
Viktor beobachtete sie aufmerksam. Sonja saß schweigend da, Nina unterhielt sich mit dem Dicken. Der Dicke lachte breit, und sein rundes Gesicht wurde noch runder. Dann holte er aus der Tasche seiner Sommerjacke eine Tafel Schokolade und schob sie Nina hin. Nina machte sie auf dem Tisch auf. Aus dem Silberpapier floß geschmolzene Schokolade. Nina leckte die Schokolade vom Silberpapier. Dann schob sie den Rest dem Dicken zu.
Viktor wurde übel. Er wandte sich ab und spürte plötzlich Rückenschmerzen, seine Verfolgung
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