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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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auszuhalten, in jeder Beziehung. Schließlich wartete ich nur noch ab, bis er ins Blickfeld rückte, um sicherzugehen, daß er auch nachkam, nicht irgendwo zitternd am Wegesrand lag oder seinen Rucksack angewidert weggeworfen und sich auf die Suche nach Wes Wisson gemacht hatte. Ich wartete und wartete, bis endlich seine Gestalt zwischen den Bäumen auftauchte. Er japste, bewegte sich mit unendlicher Langsamkeit fort und schimpfte laut mit sich selbst. Auf halbem Weg zu unserem dritten Berg, dem l .036 Meter hohen Black Mountain, blieb ich nochmals stehen, wartete wieder sehr lange und überlegte, ob ich zurückgehen sollte, aber dann ließ ich es bleiben und kämpfte mich weiter vorwärts.
    11,2 Kilometer hört sich wenig an, aber das ist es keineswegs, glauben Sie mir. Die Entfernung mit Rucksack zu gehen ist selbst für trainierte Menschen nicht ganz einfach. Kennen Sie das: Sie sind im Zoo oder in irgendeinem Vergnügungspark, mit einem kleinen Kind, das keinen Fuß mehr vor den anderen setzen will?
    Man nimmt es mit Schwung auf die Schultern und eine Zeitlang, ein paar Minuten vielleicht, macht es sogar Spaß, den kleinen Kerl da oben sitzen zu haben, zu spielen, man würde ihn fallenlassen, oder einen niedrigen Durchgang mit ihm anzusteuern, wo er sich unweigerlich den Kopf stoßen würde, um im allerletzten Moment auszuweichen. Doch dann wird es allmählich ungemütlich. Man spürt ein Stechen im Nacken, eine Verspannung zwischen den Schulterblättern, und der zuerst noch leichte Schmerz sickert tiefer, breitet sich aus, bis es richtig unangenehm wird, und Sie verkünden dem kleinen Jimmy, daß Sie ihn mal absetzen müssen, Jimmy ist bockig und will keinen Schritt weitergehen, und Ihre Frau sieht Sie mit einem geringschätzigen Blick an. »Hätte ich doch bloß einen Footballspieler geheiratet«, scheint sie zu sagen, denn Sie sind keine 400 Meter weit gegangen. »Kannst du das nicht verstehen? Es tut weh. Sehr sogar.« – »Ja ja, ist gut. Ich verstehe schon.«
    Und nun stellen Sie sich zwei kleine Jimmies in einem Sack auf Ihrem Rücken vor, oder noch besser, etwas Träges und Schweres, etwas, das nicht hochgehoben werden will, das einem, sobald man es berührt, unmißverständlich zu verstehen gibt, daß es lieber auf dem Boden hocken bleiben will, sagen wir, ein Zementsack oder eine Kiste mit medizinischer Fachliteratur, jedenfalls eine 20 Kilo schwere Last. Stellen Sie sich vor, wie der Sack an Ihnen zerrt, ähnlich der Zugkraft eines abwärts fahrenden Aufzugs. Stellen Sie sich vor, Sie gingen mit diesem Gewicht auf dem Rücken stundenlang, tagelang zu Fuß, und Sie gingen nicht auf einer asphaltierten Straße mit Bänken und Imbißbuden, die in rücksichtsvoll angemessenen Abständen aufgestellt sind, sondern auf einem rauhen Weg, gespickt mit scharfkantigen Steinen und starren Wurzeln und schwindelerregenden Anstiegen, die allesamt Ihren zarten, zittrigen Schenkeln ungeheure Strapazen  abverlangen. Beugen Sie nun den Kopf nach hinten, bis sich Ihr Nacken verspannt, und visieren Sie einen Punkt in drei Kilometern Entfernung an. Das ist Ihr erster Aufstieg. Bis zum Gipfel sind es steile 1.427 Meter, und von dem Kaliber kommen noch einige Gipfel. Jetzt erzählen Sie mir nicht, 11,2 Kilometer seien nicht viel. Und noch etwas. Sie müssen ja nicht. Ich meine, wir sind hier nicht bei der Armee. Sie können sofort umkehren. Nach Hause gehen. Zu Ihrer Familie. Im eigenen Bett schlafen.
    Oder aber – Sie können es sich aussuchen, Sie bedauernswerter, armer kleiner Kerl – Sie laufen 3.500 Kilometer durch die Wildnis und über Berge bis nach Maine. Und so trottete ich weiter, Stunde um Stunde, unter viel Weh und Ach, imposante Berge rauf und runter, an endlosen Reihen hoch aufragender Bäume vorbei, die unbeweglich, wie Gäste auf einer Cocktailparty, dastanden, und die ganze Zeit dachte ich: Langsam müßte ich die elf Kilometer geschafft haben. Aber nie hörte der Wanderpfad auf.
    Um halb vier erklomm ich einige in Stein gehauene Stufen und befand mich auf einem breiten Aussichtsfelsen: der Gipfel des Springer Mountain. Ich warf meinen Rucksack ab und plumpste gegen einen Baum, überrascht von dem Ausmaß meiner Erschöpfung. Die Aussicht war bezaubernd – die geschwungenen Hügel der Cohutta Mountains, von einem bläulichen Dunstschleier umfangen, wie Zigarettenrauch, der sich am fernen Horizont verliert. Die Sonne stand bereits niedrig am Himmel. Ich ruhte mich ein paar Minuten aus, stand dann auf und

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