Picknick mit Bären
eine Behandlung der Bäume nicht leisten. Es gäbe zu viele, das Gebiet sei zu weitläufig, eine Schädlingsbekämpfung mit Flugzeugen erscheine daher nicht praktikabel. Ich habe dazu einen Vorschlag: Warum behandelt man nicht wenigstens ein paar Bäume? Wenigstens einen einzigen? Es wäre ein Anfang. Die gute Nachricht sei, laut Informationstafel, daß der National Park Service die Hoffnung hege, daß sich einige Bäume in Laufe der Zeit auf natürlichem Weg erholen werden. Was sagt man dazu?
Vor 60 Jahren gab es fast überhaupt keine Bäume in den Blue Ridge Mountains. Das war alles Ackerland. Der Weg durch den Wald führte jetzt des öfteren an den Überresten alter Steinwälle entlang, und einmal kamen wir an einem kleinen abgelegenen Friedhof vorbei, eine Erinnerung daran, daß dies eine der wenigen Bergregionen in den gesamten Appalachen ist, wo tatsächlich einmal Menschen gelebt haben – ihr Pech, daß es leider die falschen Leute waren. In den 20er Jahren strömten Soziologen und andere Wissenschaftler aus den Städten in die Berge und waren entsetzt über das, was sie dort vorfanden. Armut und Entbehrungen waren allgegenwärtig. Der Boden war äußerst karg. Viele Bauern bewirtschafteten Steilhänge, die fast senkrecht waren. Dreiviertel der Bergbewohner konnten nicht lesen. Die meisten waren kaum je zur Schule gegangen. 90 Prozent der Kinder waren unehelich. Hygiene war ein Fremdwort, nur zehn Prozent der Haushalte verfügten über einen primitiven Außenabort.
Hinzu kam, daß die Blue Ridge Mountains von sensationeller Schönheit waren und für eine neue Klasse motorisierter Touristen bequem erreichbar. Die naheliegende Lösung war, die Menschen aus den Bergregionen in die Täler umzusiedeln, wo sie ruhig weiter arm bleiben durften, und oben eine malerische Straße zu bauen, auf der man sonntags spazierenfahren konnte, und das Ganze in einen Gipfelrummel zu verwandeln, mit kommerziell betriebenen Campingplätzen, mit Restaurants, Eisdielen, Minigolf und womit sonst noch leicht Geld zu verdienen war.
Die Geschäftsleute hatten aber ebenfalls Pech, denn die Wirtschaftskrise setzte ein, und die kommerziellen Interessen traten in den Hintergrund. Statt dessen rückte unter der Präsidentschaft von Frankhn Roosevelt ein konfuser sozialistischer Gedanke in den Vordergrund, und der Staat kaufte das Land. Die verbliebenen Bewohner wurden evakuiert, und das Civilian Conservation Corps machte sich an den Bau hübscher Steinbrücken, Picknickareale, Besucherzentren und diverser anderer Einrichtungen. Alles zusammen wurde im Juli 1936 der Öffentlichkeit übergeben. Es ist im wesentlichen die handwerkliche Qualität, die den Ruhm des Shenandoah National Park begründet. Der Park ist ein Meisterwerk gemeinsamer menschlicher Anstrengung, eines der wenigen Beispiele für großangelegte Bauprojekte – der Hoover-Damm ist ein weiteres Beispiel, und Mount Rushmore, würde ich sagen, ein drittes –, die sich in die natürliche Landschaft einfügen, sie eigentlich erst richtig zur Geltung bringen. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich so gern den Skylme Drive entlangging, mit seinen breiten Grasstreifen und den Befestigungsmauern aus Stein, den kunstvoll angelegten Birkenhainen und den sanft geschwungenen Kurven, die zu atemberaubenden, klug in Szene gesetzten Panoramablicken führen. In dem Stil sollten alle Highways sein, und eine Zeitlang sah es auch tatsächlich danach aus. Es ist kein Zufall, daß die ersten Highways in Amerika Parkways hießen. Als solche waren sie konzipiert – Parkanlagen, durch die man hindurchfahren konnte.
Von dieser handwerklichen Tradition ist auf dem Appalachian Trau im Park nichts zu spüren – vielleicht wäre das für einen Wanderweg, der sich der Wildnis verschrieben hat, auch zuviel verlangt –, aber man begegnet ihr angenehmerweise in den Schutzhütten, die etwas von dem charmanten rustikalen Charakter der Hütten in den Smokies haben, aber luftiger, sauberer und praktischer sind und nicht diese gräßlichen Maschendrahtzäune an der Vorderseite haben.
Katz fand es lächerlich, aber ich bestand darauf, daß wir nach unserer Nacht an dem Bach nur noch in Schutzhütten schliefen - ich bildete mir ein, eine Hütte ließe sich gegen marodierende Bären besser verteidigen –, und außerdem sind die Hütten im Shenandoah Park viel zu schön, um sie links liegen zu lassen. Jede Hütte hatte ihren eigenen Reiz, war an einem sorgfältig ausgewählten Standort errichtet
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