Picknick mit Bären
allmählich doch ein.
12. Kapitel
Ich hatte erwartet, daß Katz am nächsten Morgen unerträglich sein würde, aber er war erstaunlich gnädig mit mir. Er weckte mich mit Kaffee, und als ich aus meinem Zelt hervorkroch, wie gerädert und um den Schlaf gebracht, sagte er zu mir: »Ist irgendwas? Du siehst schlimm aus.«
»Ich habe nicht genug geschlafen.«
Er nickte. »Glaubst du wirklich, daß es ein Bär war?«
»Was weiß ich.« Plötzlich fiel mir der Vorratsbeutel ein – auf den gehen Bären normalerweise zuerst los – und ich wandte den Kopf zur Seite, um nachzusehen, aber er hing immer noch sicher ein paar Meter über dem Boden an einem Ast, ungefähr 15 Meter von unseren Zelten entfernt. Ein zu allem entschlossener Bär hätte ihn da bestimmt heruntergeholt. Eigentlich hätte ihn jedes Kind herunterholen können. »Vielleicht doch nicht«, sagte ich enttäuscht.
»Weißt du, was hier drin ist? Für alle Fälle«, sagte Katz und klopfte vielsagend auf seine Brusttasche. »Meine Nagelschere. Man weiß ja nie. Gefahren lauern überall. Eins kann ich dir flüstern, mein Freund, aus Schaden wird man klug. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.« Dann lachte er schallend.
Danach ging es wieder in den Wald. Der Appalachian Trail verläuft auf fast der gesamten Länge des Shenandoah National Park parallel zum Skyline Drive und kreuzt diesen sogar häufig, obwohl man das als Wanderer meistens kaum merkt. Es kann passieren, daß man durch die heiligen Säulenhallen des Waldes streift, und plötzlich gleitet ein paar Meter vor einem ein Auto zwischen den Bäumen hindurch – ein immer wieder irritierender Anblick.
Anfang der 30er Jahre wurde der Potomac Appalachian Trail Club – Myron Averys Lieblingskind und zeitweilig von der Appalachian Trail Conference nicht zu unterscheiden – von anderen Wandervereinen scharf angegriffen, besonders von dem elitären Appalachian Mountain Club in Boston, er habe sich dem Bau der Skyline Drive durch den Park nicht widersetzt. Avery fühlte sich von dieser Rüge schwer getroffen und schrieb im Dezember 1935 einen beleidigenden Brief an MacKaye, der dessen Beziehung zum Trail Club, die ohnehin nur noch recht oberflächlich war, offiziell ein Ende setzte. Die beiden Männer haben nie wieder ein Wort miteinander gesprochen, dennoch zollte MacKaye ihm bei seinem Tod im Dezember 1952 die gebührende Anerkennung und bemerkte, ohne Avery wäre der Trail wohl nie gebaut worden. Viele Menschen mögen den Skyline Drive nicht, aber Katz und ich konnten ihm durchaus etwas abgewinnen. Häufig verließen wir den Trail und gingen für ein, zwei Stunden auf dem Highway weiter. Jetzt, in der Vorsaison, Anfang April, fuhren kaum Autos durch den Park, und wir nutzten den Skyline Drive einfach als breiten, bequemen, asphaltierten Nebenwanderweg. Es war ein ganz neues Gefühl, zur Abwechslung festen Boden unter den Füßen zu haben, und äußerst angenehm, nach wochenlangem Marschieren durch undurchdringlichen Wald draußen im Freien zu sein, in der Sonne. Autofahrer führen wirklich ein verwöhnteres, sorgenfreieres Leben als wir Wanderer. Es gab an der Straße viele eigens angelegte Aussichtspunkte, die einen herrlichen Ausblick boten – obwohl auch jetzt, bei klarem Frühlingswetter, alles, was weiter als neun bis zehn Kilometer weg war, unter einer staubigen Dunstdecke lag. Diese Plätze waren mit Informationstafeln, die nützliche Hinweise über Flora und Fauna des Parks enthielten, und sogar mit Mülleimern ausgestattet. So was hätten wir auf dem Trail auch ganz gut gebrauchen können, fanden wir. Wenn die Sonne zu heiß wurde oder die Füße schmerzten – Asphalt ist eigentlich eine Tortur für die Füße – oder wenn wir eine Abwechslung benötigten, kehrten wir wieder in den vertrauten, kühlen, heimeligen Wald zurück. Es war sehr angenehm, geradezu luxuriös, zwischen beiden Möglichkeiten wählen zu können.
An einem der Rastplätze am Skyline Drive hing eine Informationstafel, die den Besucher auf einen Hang in der Nähe aufmerksam machte, der über und über mit Schierling bewachsen war, einer sehr dunklen, fast schwarzen Konifere, die typisch für die Blue Ridge Mountains ist. Dieser Schierling, überhaupt aller Schierling, der am Trau und im Wald zu beiden Seiten wächst, ist von einer Blattlaus befallen, die 1924 aus Asien eingeschleppt wurde, und stirbt ab. Der National Park Service, lautete die traurige Feststellung auf der Informationstafel, könne sich
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