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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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fieberauslösende Zecken, hungrige Bären und schließlich, nicht zu vergessen, herumstreunende Mörder, die unversehens und grundlos zustechen, wie die Berichte über den Tod der beiden im Shenandoah National Park umgebrachten Frauen zeigten.
    Es war mehr als entmutigend. Das Beste, was ich tun konnte, war – das Beste daraus zu machen. Jedenfalls mußte ich es versuchen. Jeder zu Hause, der mich kannte (zugegeben sind das nicht so viele, aber immerhin genügend, als daß ich ständig in Hauseingänge hätte huschen müssen, wenn mir jemand auf der Hauptstraße begegnet wäre), wußte, daß ich mir vorgenommen hatte, den AT zu machen – was ja schlecht stimmen konnte, wenn ich dabei erwischt wurde, wie ich mich in der Stadt herumdrückte. (»Heute habe ich Bryson gesehen, wie er gerade mit einer Zeitung vorm Gesicht in Eastmans Pharmacy gehüpft ist. Ich dachte, der wollte den AT abgehen. Es stimmt, du hast recht. Er ist ein komischer Kauz.«)
    Ich mußte zurück auf den Trail. Ich meine, so richtig weit weg von zu Hause, irgendwo ins nördliche Virginia, jedenfalls weit genug, um mit Anstand behaupten zu können, ich sei den AT, wenn schon nicht ganz, dann wenigstens fast ganz entlanggewandert. Die Schwierigkeit war bloß die, daß man auf der gesamten Strecke ohne fremde Hilfe weder auf den Weg rauf- noch von ihm runterkommt. Ich konnte nach Washington fliegen, nach Newark oder Scranton oder jeden beliebigen anderen Ort in der Nähe des Trails, aber jedesmal wäre ich noch kilometerweit vom eigentlichen Wanderweg entfernt gewesen. Ich wollte auch nicht die Geduld meiner lieben Frau strapazieren und sie bitten,sich zwei Tage freizunehmen, um mich nach Virginia oder Pennsylvania zu bringen, also beschloß ich, selbst zu fahren. Ich würde, so stellte ich mir vor, den Wagen an einer günstigen Stelle parken, in die Berge wandern, dann zurück zum Wagen, ein Stück weiterfahren und das Ganze wiederholen. Ich rechnete schon damit, daß das im Grunde ziemlich unbefriedigend werden würde, eigentlich war es sogar schwachsinnig – und ich sollte in beiden Punkten recht behalten –, aber mir fiel keine bessere Alternative ein.
    Und so stand ich in der ersten Juniwoche wieder an den Ufern des Shenandoah, in Harpers Ferry, West Virginia, blinzelte in den grauen Himmel und versuchte mir krampfhaft einzureden, daß ich mir nichts anderes gewünscht hatte.
     
    Harpers Ferry ist aus verschiedenen Gründen ein interessanter Ort. Zunächst einmal ist er sehr hübsch. Das liegt daran, daß es sich hier um einen National Historical Park handelt und es deswegen keine Pizza Huts, McDonalds, Burger Kings, nicht einmal Einwohner im eigentlichen Sinn gibt, jedenfalls nicht in dem tiefer gelegenen, älteren Stadtteil. Statt dessen findet man lauter restaurierte oder im historischen Stil wiederaufgebaute Häuser mit Plaketten und Hinweistafeln, so daß es eigentlich kaum städtisches Leben gibt, eigentlich gar kein Leben. Trotzdem hat diese geputzte Niedlichkeit etwas Betörendes. Es wäre sogar ein ganz netter Ort zum Leben, wenn man den Einwohnern nur trauen könnte, nicht dem Drang nachzugeben, unbedingt Pizza Huts und Taco Beils in ihren Mauern haben zu wollen (ich persönlich glaube, man könnte ihnen trauen – aber höchstens anderthalb Jahre lang). Es ist ein Ort, der nur so tut als ob, eine Art Fälschung, hübsch versteckt gelegen zwischen steilen Bergen, dort, wo Shenandoah und Potomac River zusammenfließen.
    Es ist deswegen ein National Historical Park, weil der Ort tatsächlich eine geschichtliche Bedeutung hat. In Harpers Ferry beschloß der Abolitionist John Brown, die amerikanischen Sklaven zu befreien und einen eigenen neuen Staat im Nordwesten Virginias zu gründen – ein ziemlich kühnes Unterfangen, wenn man bedenkt, daß er über eine Armee von gerade mal 21 Mann verfügte. Zu diesem Zweck schlich er sich im Schutz der Dunkelheit mit seinen Getreuen am 16. Oktober 1859 in die Stadt. Sie nahmen die Waffenkammer der Union ein, wobei sie auf keinen nennenswerten Widerstand trafen, denn das Lager wurde nur von einem einzigen Nachtwächter beschützt, aber sie töteten bei der Aktion dennoch einen unschuldigen Passanten – Ironie des Schicksals, daß es sich dabei ausgerechnet um einen befreiten schwarzen Sklaven handelte. Als sich die Nachricht verbreitete, ein Waffendepot der Union mit 100.000 Gewehren und Unmengen Munition sei in die Hände einer kleinen Bande Verrückter gefallen, schickte der Präsident James

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