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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Eingang der Kirche. Eine schwere, querstehende Straßensperre blockierte die Zufahrt zu der alten Straße, und ein neuer Highway führte über einen Nachbarhügel um die Stadt herum. Ich stieg über die Straßensperre und ging ein Stück den alten Highway 61 entlang. Unkraut wuchs in Büscheln hier und da aus der Asphaltdecke hervor, aber die Straße an sich sah noch immer befahrbar aus. Zu beiden Seiten qualmte das Land auf unübersichtlicher Fläche düster vor sich hin, wie nach einem Waldbrand. Ungefähr 50 Meter weiter war in der Mitte der Straße ein gezackter Riß zu sehen, der rasch zu einer breiten Spalte wurde, aus der noch mehr Qualm aufstieg. An manchen Stellen der Spalte war die Fahrbahn auf einer Seite 30 bis 40 Zentimeter tief abgesunken oder hatte sich zu einer rinnenartigen Vertiefung verformt. Ab und an schaute ich in die Spalte hinunter, konnte aber wegen des Rauchs, der sich als unangenehm beißend und schwefelhaltig erwies, als eine Windböe ihn mir ins Gesicht wehte, nicht sehen, wie tief sie reichte.
    Ich ging eine Weile an der Spalte entlang, untersuchte sie mit ernster Miene, wie ein Ingenieur vom Straßenbauamt, bevor mein Blick ziellos umherschweifte und mir dämmerte, daß ich mich mitten, geradezu im Zentrum einer unentwegt qualmenden Landschaft befand, auf einer vermutlich hauchdünnen Asphaltdecke, über einem brennenden Feuer, das seit 35 Jahren außer Kontrolle war. Sich ausgerechnet an diesen Ort in ganz Amerika zu begeben zeugt nicht gerade von besonderer Klugheit. Vielleicht war es nur meine buchstäblich erhitzte Phantasie, jedenfalls erschien mir der Boden plötzlich ausgesprochen schwammig und elastisch, als würde ich auf einer Matratze gehen. Ich machte rasch wieder kehrt und lief zu meinem Wagen zurück.
    Wenn ich so darüber nachdenke, erscheint es mir merkwürdig, daß jeder Verrückte, ich eingeschlossen, in einem so offenkundig gefährlichen und instabilen Ort wie Centralia mit dem Auto spazierenfahren und sich alles ansehen kann, aber es gab nichts, das einen davon abgehalten hätte herumzustreunen. Noch merkwürdiger fand ich allerdings, daß Centralia nicht vollständig evakuiert worden ist. Diejenigen, die nicht wegziehen mochten und mit der Gefahr leben wollten, daß ihr Haus eines Tages von der Erde verschluckt würde, durften bleiben, und einige hatten sich offenbar dafür entschieden. Ich fuhr mit dem Auto zu einem einsamen Haus mitten im ehemaligen Stadtzentrum. Das in einem blassen Grün gestrichene Haus war gepflegt und gut erhalten. Gespenstisch. Auf einer Fensterbank standen eine Vase mit künstlichen Blumen und anderer Nippes. Vor der frisch gestrichenen Veranda befand sich ein Beet mit Ringelblumen, allerdings stand kein Auto in der Einfahrt, und niemand öffnete auf mein Klingeln die Haustür.
    Mehrere andere Gebäude stellten sich bei näherem Hinsehen als unbewohnt heraus. An zwei Häusern waren Fenster und Türen mit Brettern vernagelt, und es hingen Schilder dran, »Achtung! Betreten verboten!«. In fünf, sechs anderen Häusern, darunter drei kleine Reihenhäuser am Ende des Stadtparks, lebten offensichtlich noch Menschen, in einem Vorgarten lag sogar Kinderspielzeug (wer um Himmels willen möchte hier Kinder großziehen?). Aber nirgends reagierte jemand auf mein Klingeln. Entweder waren alle in der Arbeit oder lagen, wie ich vermutete, längst mausetot in der Küche. Bei einem Haus, an dem ich klingelte, bewegte sich eine Gardine, wie ich mir einbildete, aber ich war mir nicht sicher. Wer weiß, wie gestört die Leute sind, nachdem sie 30 Jahre auf einem Inferno gelebt und Unmengen von CO2 inhaliert haben, beziehungsweise wie genervt von Fremden, die fröhlich an ihre Tür klopften und ihre Stadt als Kuriosum betrachteten. Insgeheim war ich erleichtert, daß niemand auf mein Klingeln reagierte, denn mir wäre ums Verrecken keine Frage eingefallen, mit der ich ein Gespräch hätte beginnen können.
    Es war bereits nach Mittag, ich fuhr daher die restlichen acht Kilometer nach Mt. Carmel, der nächsten Stadt, mit dem Auto. Mt. Carmel war eine kleine Überraschung nach Centralia – ein lebendiges Städtchen, angenehm altmodisch, mit Verkehr auf der Main Street, Bürgersteigen voller Einkäufern und anderen Bewohnern der Stadt, die ihren Geschäften nachgingen. Ich aß im Academy Luncheonette and Sporting Goods Store zu Mittag (vermutlich der einzige Ort in ganz Amerika, an dem man beim Verzehr seines Thunfisch-Sandwichs eine Auswahl von Suspensorien

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