Picknick mit Bären
aber die meisten waren eingeknickt. Die Szenerie erinnerte unweigerlich an ein Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs nach schwerem Artilleriebeschuß. Der Boden war mit einem sandigen schwarzen Staub bedeckt, der aussah wie Eisenspäne.
Das Gehen fiel ungewöhnlich leicht – der Grat war fast vollkommen flach – und das Fehlen jeglicher Vegetation erlaubte einen ungehinderten Ausblick. Die Bäume auf allen anderen Bergen der nahen Umgebung, einschließlich der Hügel direkt gegenüber, auf der anderen Seite des schmalen Tals, waren, soweit man erkennen konnte, in gesundem Zustand, außer an den Stellen, wo der Berg durch Steinbrüche oder Tagebau verunstaltet oder ausgehöhlt worden war. Ich ging etwas länger als eine Stunde, bis ich zu einem jähen, irrsinnig steilen Abstieg nach Lehigh Gap gelangte – 300 Meter in die Tiefe. Ich hatte eigentlich noch gar keine Lust, für heute Schluß zu machen, im Gegenteil, ich war gerade erst so richtig in Fahrt gekommen, aber die Vorstellung, 300 Meter abzusteigen, nur um unten umzukehren und wieder hochzuklettern, hatte nicht den geringsten Reiz, und es gab auch keinen anderen Rückweg, der nicht stundenlanges Marschieren an einem verkehrsreichen Highway bedeutet hätte. Genau das ist eben das Problem, wenn man den AT in Tagesetappen abwandert: Er ist so angelegt, daß man weitergeht, immer weiter, nach vorn und nicht Stippvisiten absolviert, mal hier, mal da.
Seufzend machte ich kehrt und ging denselben Weg zurück, den ich gekommen war, in einer der Landschaft angepaßten Laune. Es war fast vier Uhr, als ich den Parkplatz erreichte, zu spät, um noch einen anderen Abschnitt des Trails auszuprobieren. Der Tag war so gut wie gelaufen. Ich hatte 560 Kilometer zurückgelegt, um hierher nach Pennsylvania zu kommen, hatte vier quälend lange Tage in diesem Bundesstaat zugebracht und war unterm Strich 17 Kilometer des Appalachian Trail abgegangen. Nie wieder, schwor ich mir, nie wieder würde ich versuchen, mit dem Auto an den Appalachian Trail heranzufahren und ihn in Etappen zu wandern.
15. Kapitel
Früher, vor Jahrmillionen, konnten es die Appalachen in ihrem Ausmaß und ihrer Erhabenheit durchaus mit dem Himalaja aufnehmen – wie Pfeilspitzen, schneebedeckt, die Wolkendecke durchstoßend, ragten sie atemberaubende 6.000 Meter und höher auf. Mount Washington in New Hampshire bietet immer noch einen eindrucksvollen Anblick, die Gesteinsmasse, die sich heute aus den Wäldern New Englands erhebt, stellt jedoch bestenfalls das rumpfartige untere Drittel dessen dar, was vor zehn Millionen Jahren hier stand.
Die Appalachen haben heute eine bescheidenere Gestalt, weil ihnen sehr viel Zeit zur Verfügung stand, um sich abzuschleifen, Sie sind unvorstellbar alt, älter als die Meere und Kontinente, jedenfalls in ihrer heutigen Ausprägung, und sie sind weitaus älter als die meisten anderen Bergketten, sogar älter als fast alle anderen landschaftlichen Merkmale der Erde. Die Appalachen standen schon zur Begrüßung bereit, als einfachste Pflanzenformen die Erde besiedelten und die ersten Tiere nach Luft schnappend aus dem Meer an Land krochen.
Vor etwa einer Milliarde Jahren waren die Kontinente der Erde eine einzige Landmasse. Sie bildeten den Urkontinent Pangäa, umgeben vom Urozean, dem Panthalassischen Meer. Eine unerklärliche Erschütterung des Erdmantels führte dazu, daß die Landmasse zerbrach und die einzelnen asymmetrischen Blöcke auseinanderdrifteten. Von Zeit zu Zeit im Laufe von Jahrmillionen – bisher insgesamt dreimal – vollzogen die Kontinente eine Art Wiedervereinigung, trieben zurück an einen zentralen Ort und stießen dabei sehr langsam, aber doch mit zerstörerischer Wucht zusammen. Bei der dritten Kollision, die vor 470 Millionen Jahren passierte, wurden die Appalachen aus der Erdmasse herausgedrückt, wie ein Falten werfender Teppich, um einen immer wieder bemühten Vergleich zu benutzen. 470 Millionen Jahre sind eine Zeitspanne, die über den menschlichen Verstand hinausgeht, aber wenn man sich vorstellt, man flöge in der Zeit rückwärts, mit einer Geschwindigkeit von einem Jahr pro Sekunde, dann brauchte man 16 Jahre, um diese Zeitspanne zu überwinden. Das ist doch ziemlich lange, würde ich sagen.
Die Kontinente haben sich nicht einfach wie bei einem Square Dance in Zeitlupe aufeinander zu und wieder voneinander weg bewegt, sondern sie drehten sich träge im Kreis, wechselten die Richtung, begaben sich auf weite Reisen in die
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