Piesberg in Flammen
ihrer fünfziger Jahre erreicht. Einer Elfe gleich, war sie in ein langes, wallendes lila Kleid gehüllt, das oben mit einem tiefen Ausschnitt versehen war, um ihre knabenhafte Brust zu zeigen. Sie war eine Schönheit, wenn auch eine reife. An den FüÃen trug sie schwere Stiefel mit hohen Sohlen, was ein wenig an diese Figuren erinnerte, die auf einem Sockel aus Holz stehen. Ihre Glieder werden straff von Fäden gehalten, und unten gibt es einen Mechanismus, mit dem man sie lockern kann, sodass die Figur jeden Halt verliert.
Pieter half Jacqui auf den Hocker. Er trug ein Satinjackett im gleichen Lila wie ihr Kleid. Seine sehr groÃen Hände fielen auf, und das kräftige weiÃblonde Haar. Er trug es kurz und struppig. Das Sakko passte weder zu seiner derben Statur noch zu den groben Zügen seines Gesichtes. Er postierte sich neben der Bühne wie ein Bodyguard, aber Hero Dyk nahm ihn mit ins Publikum, wo er ihn Heeger und Lena vorstellte. Lilly begrüÃte ihn eher kühl.
»Ich kenne dich von der Schule«, sagte Pieter, als er Feli sah.
»Ja«, sagte Feli und errötete. »Ich arbeite jetzt oft im âºTrotaâ¹.«
»Das kenne ich«, erwiderte Pieter und lächelte sie an. Es war mehr die Andeutung eines Lächelns, er schien aus der Ãbung zu sein, aber es gelang ihm. Es wirkte so, als ob jemand für einen Moment ein Licht anzündete, das sogleich wieder erlosch.
»Guten Abend, Hero Dyk«, sagte Jacqui LaBelle in das Mikro. Es war zu laut eingestellt und verursachte Rückkopplungen, aber der rauchige Ton ihrer Stimme war deutlich zu hören. Eine Andeutung von Freiheit und Exzess. Sie lieà Glückwünsche und ein paar nette Worte folgen. »Wie schön, wenn sich so viele Menschen zu einer Feier zusammenfinden. Und danke, dass ihr an eure Jacqui gedacht habt. Ich habe keine neuen Lieder mehr, und wenn, dann will sie niemand hören. Hier sind ein paar alte.«
Mit einer kraftlosen Geste bat sie um Musik. Sie sang mit einer hellen, trotzigen Stimme und sehr dezentem Timbre. Es klang schlicht und edel. Protestantisch, das war ihr Stil. Ein plattdeutscher Zungenschlag, wie vorne auf der Spitze gesprochen.
Die Leute hörten immer noch gerne zu, das zeigte sich jetzt. Nur Lilly und Feli konnten mit der Musik nichts anfangen. Es drängte die beiden Mädchen nach drauÃen in die Nacht hinaus. Fort von den Eltern, deren Fröhlichkeit peinlich wirkte. Feli warf einen langen Blick auf Pieter, aber der beachtete sie nicht.
Jacqui sang Lieder von Bob Dylan und von Jacques Brel, Edith Piaf und Hermann van Veen. Sie sang auf Englisch, Deutsch, Flämisch und Französisch. »Hallelujah« von Leonard Cohen trug sie auf Plattdeutsch vor. Ein Stück von Steeleye Span folgte, es klang ein wenig rockiger als die anderen Lieder. Ganz am Schluss sang sie »Salt of the Earth«, einen Song von den Stones, der nicht zu den bekannteren zählt. Auf den tobenden Applaus und die Rufe hin gab sie schlieÃlich die Melodie zum Besten, die sie berühmt gemacht hatte.
Maantje, maantje, timpe te
Buttje, buttje in de See
Mien Kerl, de het Karl-Theophil
De will nich sau
Wie ick woll will
Begeistert grölten alle mit: »Wat will he denn?«
Das Lied war eine Variante des Märchens vom Fischer und seiner Frau, in der die Welt, anders als im Original, nicht an der weiblichen MaÃlosigkeit scheitert, sondern am männlichen Unvermögen, zuzuhören.
Ihre Stimme hatte mit dem Alter eine dunkle Tönung bekommen, einen Tiefsinn, der vorher nicht auffiel. Das Publikum war bei den letzten Liedern begeistert aufgesprungen und tanzte nun um den Tisch herum. Die Gäste waren selig und ganz besoffen von der Musik und von sich selbst.
Jacqui bat schlieÃlich um Ruhe, und alle hielten sich an ihren Stühlen fest. Die schlanke Gestalt der Sängerin konnte der Dekadenz im Raum für einen Moment Einhalt gebieten.
»Ich danke euch«, sagte sie, »dass ich hier sein durfte. Vielen Dank. Wir sind das Salz der Erde, wisst ihr. Wir alle hier können so viel bewegen. Ich singe ohne Honorar, bitte jedoch um eine Spende für meine Stiftung. Pieter â¦Â« Sie fand ihn im Publikum und wies geziert auf ihn. »Das ist Pieter. Er wird mit dem Hut herumgehen. Habt keine Angst und gebt ihm reichlich. Ich sammle für eine Mädchenschule in Simbabwe. Ich selbst bin oft dort und wähle die Mädchen persönlich aus,
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