Piesberg in Flammen
Abtritt aus schmutzigem Holz in einer Ecke.
Entsetzt sah Feli sich das alles an. »Aber warum?«, wollte sie wissen.
Da drängte er sie grob gegen eine Wand und versuchte, sie zu küssen. Sie wehrte sich, so gut es ging, aber ihre Kräfte reichten nicht sehr weit. SchlieÃlich lieà er von ihr ab.
Sie kauerte sich am Boden gegen die Wand und rang nach Luft, während er zusah. »Dann warst du das mit den Feuern?«, fragte sie leise. »Dann hast du all die Häuser angezündet?«
»Bis vor ein paar Wochen hatte ich keinen Bruder. Ich habe nicht darum gebeten. Ich wollte keinen Bruder. Er nimmt mir alles weg. Jacqui lässt sich von ihm waschen, wusstest du das?« Er griff nach ihrem Kinn, bohrte schmerzhaft Daumen und Mittelfinger zwischen ihre Kiefer und zerrte sie hoch, bis ihr Gesicht fast das seine berührte. »Wusstest du das? Sie zieht sich nackt aus und lässt sich waschen. Das gefällt ihr sehr. Und jetzt ⦠jetzt nehme ich mir, was ihm gehört. Er ist in mein Leben eingedrungen, jetzt dringe ich in seines ein.«
Sie rammte ihm das Knie zwischen die Beine, aber er war vorbereitet und hatte ein Bein über das andere gelegt, um sich zu schützen. So küsste er sie erneut.
Sie spuckte aus, aber das störte ihn nicht.
»Ich laufe dir hinterher«, drohte sie. »Wohin du gehst, ich folge dir. So komme ich hier raus. Wie willst du das verhindern?«
Die Antwort war ganz einfach: Er schaltete das Licht aus. Sie hatte den Schalter nicht gesehen. Plötzlich herrschte vollkommene Dunkelheit. Sie spürte, wie er sich absetzte. Dann das Leuchten einer Taschenlampe, schon zu weit entfernt, um sie ihm zu entreiÃen. Das Licht fand einen der Gänge, Simon wusste genau, wohin er zu gehen hatte.
Sie hastete dem Leuchten der Lampe hinterher und stieà mit dem Knie schmerzhaft gegen einen Felsen. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern, um sich zu schützen, aber es war unmöglich, dem Licht zu folgen. Rasch wurde sie von Panik ergriffen und blieb stehen. So gab sie auf. Sie sank zu Boden und zitterte am ganzen Körper.
Dann riss sie sich zusammen. Wo war sie? Von wo war sie gekommen? Es herrschte nun völlige Dunkelheit. Hatte sie sich im Zusammensinken um die eigene Achse gedreht? Sie tastete sich an der Wand entlang dahin zurück, wo sie die Halle glaubte. Tatsächlich öffnete sich der Raum. Auf allen vieren kroch sie durch den Gang und hielt sich einen Arm vor das Gesicht aus Angst, irgendwo anzustoÃen. SchlieÃlich fand sie das Eisengeländer vor dem Wasserloch. Daran zog sie sich hoch und starrte in die Dunkelheit.
Nicht weit entfernt erkannte sie ein grünes Schimmern. Ganz leicht nur, fast nicht zu erkennen. Sie ging tastend darauf zu und fand den Schalter für das Licht. Die Helligkeit schien in ihrem Kopf zu explodieren.
Diese Erleichterung! Die Knie wurden ihr weich, sie sank zu Boden, um zu Atem zu kommen. Dann besann sie sich und sah sich um. Dort lag ihre Tasche mit der Kleidung und dem Essen. Sie legte alles auf den Altar und fand ein paar Kerzen und eine Schachtel Streichhölzer.
Dumpf, aber deutlich hörte sie eine Stimme. Simon. Es musste Verbindungen zwischen den Stollen geben, die er gut kannte, sie jedoch nicht. »Und zudem«, sagte er, »bist du meine Versicherung. Solange ich der Einzige bin, der weiÃ, wo du bist, brauche ich nichts zu fürchten.«
Dann ging das Licht erneut aus. Sie tastete sich zum Schalter zurück und betätigte ihn, aber es half nicht. Irgendwo musste es einen Hauptschalter geben.
Im Januar 1998
Die Beerdigung findet an einem lauwarmen Wintertag statt. Man wünscht sich Schnee und Frost und kalte Sonne. Eine weiÃe Decke für das Land und festen Stand auf hartgefrorenem Boden. Der Himmel jedoch ist seit Wochen grau, der Wind bläst Wolken in Fetzen vorüber, ein Brausen und Fauchen hängt in der Luft. Die Schirme der Trauernden schlagen um, wenn sie nicht achtgeben. Der Regen fällt in starken Schüben. Zwei herrenlose Hunde streunen zwischen den Gräbern herum.
Der Junge ist wie verwandelt. Er redet jetzt wieder, die Mutter strahlt vor Glück. Sie hat ihm ein neues Fahrrad geschenkt. Er hat das Rebellische verloren. Er wehrt sich nun auf eine andere Art. Eine gemeinere: Er fügt sich.
Evelin war noch zur Schule gegangen. Das Mädchen hatte im Frühjahr ihr Abitur machen wollen. Unter den Trauergästen sind Lehrer und
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