Pilger Des Hasses
verstanden hatte; er verzog nur verkrampft, wie unter Schmerzen, die Lippen. Er wandte den Blick nicht von dem Elenden, der demütig vor ihm kniete.
»Ihr seid ihm unablässig gefolgt und habt Euch an die vereinbarten Bedingungen gehalten«, drängte Cadfael weiter.
»Ihr steht unter Eid. Nun vollendet Euer Werk!«
Er befand sich auf sicherem Boden und wußte es. Mit der Unterwerfung war das Werk vollendet, es gab nichts weiter zu tun. Da der Feind nun seiner Gnade ausgeliefert war und er jedes Recht auf Rache hatte, war der Rächer hilflos, ein Gefangener seiner eigenen Natur. In ihm war nichts mehr außer leerer Trauer, Widerwillen und Ekel vor sich selbst. Wie konnte er einen elenden, gebrochenen Mann töten, der vor ihm kniete und keinen Widerstand leistete, sondern ergeben auf seinen Tod wartete? Es war nicht mehr wichtig, ob er starb.
»Es ist vorbei, Luc«, sagte Cadfael leise. »Tut, was Ihr tun müßt.«
Matthew schwieg noch einen Augenblick; wenn er verstanden hatte, daß er mit seinem richtigen Namen angesprochen worden war, so gab er es nicht zu erkennen. Auch das war nicht mehr wichtig. Nachdem das Ziel endlich erreicht war, kam ein schreckliches Gefühl von Leere und Verlust. Er öffnete die blutbefleckte Hand und ließ den Dolch aus seinen Fingern ins Gras gleiten. Er wandte sich ab wie ein Blinder, tastete mit den Zehen den Boden ab, bevor er den Fuß aufsetzte, und stolperte durch die dichten Büsche, um in der Dunkelheit zu verschwinden.
Olivier atmete scharf ein und riß sich aus seiner Benommenheit. Er zupfte Cadfael heftig am Ärmel. »Ist es wahr? Ihr habt ihn gefunden? Er ist Luc Meverel?« Er akzeptierte die Wahrheit, ohne daß ein weiteres Wort gesagt werden mußte, und sprang eilig zu der Stelle, an der sich nach Lucs Verschwinden die Büsche noch bewegten. Er wäre ihm nachgerannt, wenn Hugh ihn nicht am Ärmel festgehalten hätte.
»Wartet noch einen Augenblick! Wenn Cadfael recht hat, dann habt Ihr auch ein Anliegen hier. Dies ist gewiß der Mann, der Euren Freund ermordet hat. Er ist Euch einen Tod schuldig.
Wenn Ihr ihn wollt, gehört er Euch.«
»Das ist die Wahrheit«, sagte Cadfael. »Fragt ihn! Er wird es Euch sagen.«
Ciaran hockte im Gras und ließ verwirrt und verloren den Kopf hängen. Er sah den Männern nicht mehr ins Gesicht, sondern wartete nur ohne Hoffnung oder Verstehen darauf, daß jemand entschied, ob und unter welchen elenden Bedingungen er leben oder sterben sollte. Olivier betrachtete ihn nachdenklich, schüttelte mitleidig und ablehnend den Kopf und ergriff das Zaumzeug seines Pferdes. »Wer bin ich«, sagte er, »daß ich vollstrecken könnte, was Luc Meverel abgeschlagen hat? Laßt ihn mit der Last auf seiner Seele gehen. Mein Auftrag gilt dem anderen.«
Damit entfernte er sich eilig und führte sein Pferd energisch durch die Büsche. Als er verschwunden war, wurde es langsam wieder still. Cadfael und Hugh blickten einander stumm an, und zwischen ihnen hockte der arme Sünder auf dem Boden.
Cadfael fand allmählich in die Welt zurück. Drei von Hughs Offizieren standen mit Pferden und Fackeln in der Nähe und sahen ihnen schweigend zu; irgendwo, nicht weit entfernt, gab es ein kurzes Handgemenge und einen Schrei, als einer der Flüchtigen überwältigt und gefangengenommen wurde. Simeon Poer war kaum fünfzig Meter entfernt im Gebüsch gefaßt worden und stand jetzt unter schwerer Bewachung. Seine Handgelenke waren an das Zaumzeug eines Wachtmeisters gefesselt. Auch der Dritte würde nicht lange auf freiem Fuß bleiben. Die nächtlichen Abenteuer waren vorbei. Dieses Waldstück war nun wieder sicher, und selbst barfüßige und unbewaffnete Pilger konnten es ungefährdet durchqueren.
»Was tun wir nun mit ihm?« fragte Hugh unvermittelt, während er mit einigem Widerwillen das menschliche Wrack zu ihren Füßen betrachtete.
»Da Luc auf seinen Anspruch verzichtet hat«, erwiderte Cadfael, »würde ich mich nicht einmischen. Und etwas gibt es immerhin zu seinen Gunsten zu sagen: er hat nicht falsch gespielt, und er hat die Bedingungen nicht absichtlich gebrochen, nicht einmal dann, als niemand mehr da war, der ihn hätte anklagen können. Nur ein kleiner Pluspunkt, den man zur Verteidigung seines Lebens vorbringen könnte, aber immerhin. Wer sonst hätte das Recht zu vollenden, was Luc unvollbracht ließ?«
Ciaran hob den Kopf und sah zweifelnd von einem Gesicht zum anderen. Er konnte noch nicht recht verstehen, daß er verschont werden sollte, aber
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