Pilger des Zorns
in Schweigen. Dann aber, um weiteren Fragen zu entgehen, überlegte es sich der Kapitän anders. »Mein Name ist Wenzel«, stieß er mürrisch hervor und blickte stur geradeaus. Obwohl er sich die größte Mühe gegeben hatte, dies zu kaschieren, war der Akzent in seiner Stimme erneut nicht zu überhören.
»Und meiner Hilpert«, lautete die Antwort, mit reichlich Argwohn im Ton. »Bruder Hilpert. Und jetzt, Meister Wenzel, lasst Euch nicht länger stören. Zum Reden haben wir auch später noch Zeit!«
H
Nein, diesen Anblick würde er sich von niemandem verderben lassen. Schon gar nicht durch eitle und unnütze Gedanken. Am besten, er hielt sich aus allem heraus. So, und nur so würde die Reise nach Himmerod ohne Störungen verlaufen. Was dieser Hitzkopf von Kapitän zu verbergen hatte, war seine Sache nicht. Ebenso wenig wie die Frage, welcher Dämon im Leib des blonden jungen Mädchens tobte. So sehr ihn das Martyrium der gepeinigten Kreatur auch aufgewühlt haben mochte.
Was zählte, war das Hier und Jetzt. Das einzigartige, mit nichts zu vergleichende Panorama, das allmählich seinen Blicken entschwand. Der Marienberg, von Reben bekränzt, auf dem sich die Trutzburg des Bischofs erhob. St. Burkard, die Mainbrücke und der Dom, dessen Geläute ihm das Herz immer schwerer werden ließ. Und natürlich die Türme, Giebel und Dächer der Stadt, an denen sich das flirrende Sonnenlicht brach. Einer Stadt, die in Franken wahrhaftig ihresgleichen sucht. Bruder Hilpert seufzte, und obwohl Berengar und Irmingardis längst zu kaum wahrnehmbaren Punkten geschrumpft waren, hob er ein letztes Mal die Hand. Erst jetzt wurde ihm klar, wie viel ihm die Freunde bedeuteten, obwohl er es ihnen nie gesagt hatte. Ein Versäumnis, das er bei nächstbester Gelegenheit wettmachen würde. Das er wettmachen musste.
»Na, wen haben wir denn da? Einen Bruder vom heiligen Orden der Zisterzienser! Welch eine Freude!«
Wie von einem Skorpion gebissen fuhr Bruder Hilpert herum. Auf den Anblick des Possenreißers, der eine theatralische Verbeugung machte, war er allerdings nicht gefasst. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite!«, fing er sich aber ziemlich schnell. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Ein unbegreiflicher Lapsus – verzeiht!«, antwortete der etwa zehn Jahre jüngere Schalk, der ein zerfleddertes Wams mit weinroten Puffärmeln und in den Farben Blau, Rot und Gelb gestreifte Beinlinge trug. »Unter den der Musik, dem Tanz und Spiel Zugeneigten bin ich als Richwyn der Sackpfeifer bekannt. Und Ihr, Bruder – welchen Namen tragt Ihr?«
»Hilpert von Maulbronn.«
»Doch nicht etwa der Hilpert von Maulbronn?«
Obwohl er sich Mühe gab, seine Überraschung zu verbergen, war Bruder Hilpert ziemlich verblüfft und schaute den Spielmann, der ihn um Haupteslänge überragte, prüfend an. Von kräftiger Statur, hatte er schulterlanges Haar, eine hohe Stirn und volle Lippen, die von winzigen Lachfalten gesäumt waren. Der Blick, mit dem er ihm begegnete, ließ keinerlei Argwohn erkennen, weder die dunklen Augen noch das gebräunte, von tiefen Falten durchzogene Gesicht. Das Lächeln dieses Paradiesvogels wirkte echt, und Bruder Hilpert erwiderte es. »Genau der!«, bekräftigte er, drauf und dran, seine Reserviertheit abzulegen. »Wobei ich mir nicht bewusst gewesen bin, dass mich außerhalb der Mauern meines Klosters überhaupt jemand kennt.«
»Cui honorem, honorem! [4] «, antwortete der Sackpfeifer ohne Zögern, wechselte jedoch abrupt das Thema. »Und wohin wird Euch Euer Weg führen?«
»Dorthin, wo ich zu Hause bin!«, antwortete Bruder Hilpert ebenso ausweichend und überlegte fieberhaft, woher er plötzlich das Gefühl hatte, diesen Richwyn schon einmal gesehen zu haben. »In ein Kloster.«
Über das Gesicht des Spielmannes huschte ein flüchtiges Lächeln. Jedoch keines, das heiteren Ursprungs war. »Nichts für mich!«, war er bemüht, sich den Stimmungsumschwung nicht anmerken zu lassen. »Ich brauche frische Luft, den Staub der Landstraße und jede Menge Abwechslung. Ohne meine Instrumente, sangesfreudige Zechkumpane und derbe Zoten wäre ich glatt aufgeschmissen!«
»Suum cuique! [5] «, gab Bruder Hilpert ein weiteres geflügeltes Wort zum Besten und sah sich suchend um. »Wie kommt es eigentlich, dass Ihr mir bislang nicht aufgefallen seid?«
Der Sackpfeifer lächelte, eine Spur nachdenklicher gestimmt. Von seiner guten Laune war nicht mehr viel übrig geblieben. »Vielleicht, weil ich ein
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