Pilgern auf Französisch
aufeinander. Nun wandern sie auf gleicher Höhe, ohne miteinander zu sprechen. Ramzi trottet traurig neben ihnen her.
»Das is ja ne gottverlassene Gegend. Wir gehn durch ’ne gottverlassene Gegend, was, Said?«
»Mhm.«
»Haste die vielen Kühe mit den kohlschwarzen Augen gesehn?«
»Mhm.«
»Seit einer Stunde müsste ich mich mal dringend um’s Eck bringen, aber hier is kein Winkel, wohin man mal kurz verschwinden kann.«
»Was müsstest du dich?«
Ramzi zeigt ihm mit einer Handbewegung, dass er pinkeln muss.
»Um’s Eck bringen. Geht voraus — und dreht euch nich um.«
Camille: »Ich geh mal um’s Eck.«
Ramzi: »Du auch?«
Camille: »Nein! Es heißt... also man sagt: Ich geh mal um’s Eck.«
Ramzi bleibt zurück, Said und Camille gehen zu zweit weiter.
Camille: »Ramzi und seine Sprache, das ist wirklich schlimm.«
»Nach allem, was ich für dich getan habe«, murmelt Said vor sich hin.
»Was sagst du?«
»Nichts.«
»Doch, du hast gerade etwas gesagt.«
»Nein.«
»Was hast du für mich getan?«
»Du hast mich als Krauskopf beschimpft.«
»Das habe ich nicht!«
»Du hast gesagt: >Hast du davon krause Haare?< Das tut man nicht.«
»Und du hast gesagt, dass mein Onkel die Reise bezahlt hat. Das tut man auch nicht.«
»Ich habe das nur so dahingesagt...«
»Es ist mir egal, ob du krauses Haar hast.«
»Ich habe deinetwegen Geld von Ramzis Mutter angenommen... Als du Sportstunde hattest, habe ich dein Handy geklaut und Elsas Telefonnummer gesucht, weil ich wusste, dass sie deine Freundin ist, ich habe sie gefragt, wohin du diesen Sommer in die Ferien fährst, ich habe Noubia erzählt, dass ich mit Ramzi nach Mekka gehe, damit er lesen lernt, und dann habe ich ihr Geld genommen, doch statt nach Mekka zu pilgern, habe ich davon die Reise bei Chemin Faisant gebucht, damit ich zwei Monate mit dir zusammen sein kann. Das habe ich alles für dich getan.«
»Dass du Geld von Ramzis Mutter angenommen hast, ist gemein, nachdem es vielleicht ihre gesamten Ersparnisse waren...«
»Ich wollte mit dir zusammen sein.«
»Und was willst du Noubia erzählen, wenn ihr zurückkommt?«
»Sie wird mir den Kopf abreißen, ich darf gar nicht daran denken. Lieber gehe ich in den Dschungel, das verspreche ich dir... Und lesen lernt er auch nicht.«
»Dir geht’s echt dreckig.«
»Ich habe Clara gefragt, diese Lehrerin, ob sie ihm vielleicht das Lesen beibringt, aber sie will nicht, sie sagt, für Eklektiker muss man prädestiniert sein.«
»Dyslektiker.«
»Ja, Dyslektiker. Und alles nur, um zwei Monate mit dir zusammen zu sein, aber dir ist das ja egal...«
Etappenziel. Alle jammern über ihre Füße und die vielen Kilometer, die sie zurücklegen mussten.
Pierre klagt lauter als die anderen.
»Hoffentlich gibt es in der Herberge Netzanschluss, ich muss nämlich dringend telefonieren. Ich kann doch nicht tagelang durch die Gegend laufen und mich um gar nichts kümmern, oder?«
»Keine Sorge, bei der Herberge gibt es eine Telefonzelle.«
Allgemeine Erleichterung.
Am Hang eines Hügels in der Ferne entdecken sie einen kleinen Punkt, eine winzige Herberge, die mit den Felsen der Umgebung verschmilzt. Von Weitem sieht sie aus wie eine verlassene Almhütte und ganz bestimmt nicht wie ein richtiges Haus, nicht einmal eine Straße führt hinauf, und anders als zu Fuß kann man sie nicht erreichen.
Pierre: »Ist das die Herberge?«
Guy: »Ja.«
Clara: »Passen wir denn da alle rein in diesen Schuppen?«
Guy: »Aber ja.«
Said: »Gibt es auch etwas zu essen?«
Guy: »Ja, das Essen ist sehr gut. Denise, die Wirtin, serviert es um sechs Uhr.«
Elsa: »Wie kann sie denn Essen für neun Leute dort hinaufbringen?«
Guy: »Wir sind sicherlich mehr als neun, die Herberge hat achtzehn Plätze. Denise kommt mit dem Jeep.«
Elsa: »Achtzehn Plätze in dieser Hütte?«
Claude: »Meinen Sie, es gibt dort auch Bier? Ein kühles kleines Helles vielleicht?«
Pierre: »Und wo ist die Telefonzelle?«
Guy: »Unter dem Baum.«
Alle kneifen die Augen zusammen, um die sehnlichst herbeigewünschte Telefonzelle zu erspähen. Doch unter dem Baum sieht man nur Steine und Gras.
Camille: »Unter dem Baum gibt es keine Telefonzelle.«
Guy: »Nein, aber dort gibt es ein Netz.«
Kaum angekommen, eilen die Pilger mit ihren Handys unter den Netzbaum, alle reden gleichzeitig und halten sich mit der freien Hand das freie Ohr zu.
Ausgestreckt auf einem Felsen genießt Mathilde mit geschlossenen Augen die letzten
Weitere Kostenlose Bücher