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Pilgern auf Französisch

Pilgern auf Französisch

Titel: Pilgern auf Französisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coline Serreau
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steht.
    »Nein, nein, nein, das geht nicht, ich habe hier keinen Platz für neun Leute.«
    »Für wie viele hätten Sie denn Platz?«
    »Na, eigentlich für keinen, ich kann Sie hier nicht aufnehmen.«
    »Aber man hat uns gesagt, dass Sie ein großes Haus haben...«
    Der Pfarrer hätte besser sagen sollen, nein, es sei eher viel zu klein, aber sein Dünkel ist schneller als seine Umsicht, und ganz stolz auf sein Haus erwidert er gleich: »O ja, es ist groß.«
    »... und ganz allein leben...«
    »Ja, ich lebe allein, aber wir hatten Sturmschäden, die wir nun reparieren müssen, das ganze Haus ist eine einzige Baustelle.«
    »Also, wir sind neun Leute, gleich wird es regnen, die Herberge ist überfüllt, und wir wissen nicht wohin.«
    »Verstehe, verstehe... Aber ich kann wirklich nichts für Sie tun, ich sage Ihnen doch, ich habe hier eine Baustelle.«
    »Und Essen? Hätten Sie vielleicht etwas zu essen für uns?«
    Ein heikler Punkt, den man lieber nicht anspricht. Das Essen ist für einen vornehmen Pinkel in der Provinz eine geheiligte Zeremonie, die seit dem ersten Erwachen geplant, organisiert und überdacht sein will. Dazu gehören: Einkäufen, Gemüseputzen, Vorbereiten, Kochen und schließlich der langsame, bedächtige, stille, manchmal einsame — denn so ist er noch genussvoller — Verzehr der kulinarischen Kostbarkeiten Frankreichs. Kommt gar nicht infrage, dass man eine Horde Pilger zu seinem ganz privaten delikaten Festschmaus einlädt!
    »Oh, nein, nein, ich habe nichts zu essen da. Ich war gerade dabei, meine Mahlzeit zu beenden, da ist nichts mehr übrig.«
    »Wir haben seit heute Mittag nichts mehr gegessen, und wir wissen nicht, wo wir schlafen sollen.«
    »Warten Sie kurz!«
    Der Pfarrer entfernt sich und kommt mit einem Schlüssel zurück.
    »Hier, das ist der Schlüssel für die Schule.«
    Er wirft ihn Guy zu.
    »Das Schulhaus ist gleich da unten, fünfhundert Meter weiter am Ende der Straße. Sie können Ihr Lager in einem Klassenzimmer aufschlagen... Im Hof gibt es Wasser und Toiletten, in der Schule können Sie es sich bequem machen.«
    »Danke. Und zum Essen? Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie wir an Essen kommen könnten?«
    »Nein, ich habe keine Ahnung.«
    »Na dann danke für den Schlüssel.«
    »Und vergessen Sie bitte nicht, ihn morgen zurückzubringen!«
    »Nein, nein... Und Croissants bringe ich Ihnen auch gleich mit.«
    Kaum ist das Fenster des Pfarrhauses wieder geschlossen, ertönen auch schon giftige Kommentare. Guy zieht den Kopf ein, die Gruppe macht sich in Richtung Schule auf den Weg.
    Mathilde: »Der Pfarrer sollte lieber mal seine Großherzigkeit reparieren lassen.«
    Claude: »Sicherlich durchlebt er in seinem großen Haus auch große innerliche Sturmschäden.«
    Elsa: »Wer hat, der hat.«
    Mathilde: »Mit den Croissants sollten Sie ihm auch gleich ein Alka-Seltzer bringen.«
    Ramzi: »Ich hoffe, Sie bringen ihm nich wirklich Croissants mit.«
    Guy: »Nein, nein, keine Sorge!«
    Pierre: »Was ist hier eigentlich schiefgelaufen? Können Sie mir das erklären, Guy?«
    Guy: »Es tut mir schrecklich leid — ich hatte reserviert. Ich verstehe das auch nicht.«
    Pierre: »Jetzt hören Sie mal zu — ich habe es wirklich langsam satt, ich habe die Nase gestrichen voll! Erstens kann ich nicht ins Hotel gehen und muss mich damit abfinden, in zweifelhaften Herbergen zu schlafen, zweitens wurde ich gezwungen, meine Geschäfte ruhen zu lassen und auf meine Medikamente zu verzichten, drittens ist meine Frau krank, und ich kann mich nicht um sie kümmern...«
    Clara: »Ist Ihnen aufgefallen, dass seine Frau an letzter Stelle kommt?«
    Pierre: »Schnauze!«
    Clara: »Selber Schnauze!«
    Pierre: »Und jetzt stehen wir auch noch mitten im Gewitter auf der Straße!«
    Claude: »Na und? Es ist Sommer, es ist warm.«
    Pierre, fuchsteufelswild: »Und du, du kannst sowieso die Klappe halten!«
    Claude: »So redest du nicht mit mir, Pierre!«
    Pierre bleibt stehen und funkelt seinen Bruder böse an. Die anderen gehen weiter, außer Clara und Mathilde, die die beiden Brüder besorgt beobachten.
    Pierre: »Doch, so rede ich mit dir. Du brauchst wirklich keine große Lippe zu riskieren. Du lebst wie ein Clochard. Gut. Du hast dir dieses Leben selbst ausgesucht. Auch gut. Aber ich habe so ein Leben nicht gewählt! Klar? Ich habe mich dafür entschieden, hart zu arbeiten, mich in einer Welt voller tollwütiger Hunde zu behaupten und Geld zu verdienen, damit ich sorgenfrei und komfortabel leben

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