Pilgern auf Französisch
Ende zoffen sich die Leute trotzdem die ganze Zeit, oder?«
»Ja. Außer uns.«
»Wer uns?«
»Außer dir und mir.«
»Wir streiten uns doch auch die ganze Zeit.«
»Ja, aber bei uns ist es etwas anderes, wir lieben uns.«
»Dich kann auch wirklich nichts in Verlegenheit bringen, was?«
»Nein.«
»Absolut nichts?«
»Nein. Das ist doch gut, oder?«
»Irre gut!«
Die Gruppe wandert durch eine versengte braune Landschaft, es sieht aus wie ein chinesisches Schattenspiel. Am Horizont zeichnet sich ein einzelner kleiner Baum ab.
IN SPANIEN PLATZEN die übervölkerten Großstädte aus allen Nähten, die Provinz aber ist verlassen. Wegen der Hitze und auch aufgrund einer langen Tradition, die in fünfhundert Jahren maurischer Besetzung gefestigt wurde, bleiben die Frauen zu Hause; die Fensterläden sind immer hermetisch geschlossen, und man hat den Eindruck, durch feindliche Städte und tote Dörfer zu kommen.
Viele Ortschaften waren einmal mindestens so malerisch wie die Dörfer in Südfrankreich, nun aber sind sie verfallen; nur noch wenige verlassene, verzweifelte Alte wohnen dort, die zu ihren Lebzeiten schon alles durchmachen mussten: Blüte, Verfall und Tod des ländlichen Raumes ihrer Kindheit; erst die Verheerungen durch den Faschismus, dann die der extremen Liberalisierung, während ihre Kinder in die Städte flüchteten, und schließlich die Zerstörung ihrer Scholle und ihrer Traditionen durch Großgrundbesitzer und Pestizide. Nun vegetieren sie erbärmlich dahin und warten auf den Tod.
Die Leutchen sind würdevoll und stolz, und wenn man ihnen ohne Verachtung begegnet, sind sie begierig auf zwischenmenschliche Kontakte. Bereitwillig erzählen sie, wie man ihnen ihr Leben kaputt gemacht hat, und dann treten ihnen unweigerlich Tränen in die Augen. Sie sind ein Nichts, vergessen von der Welt. Mit Hosen, die von Bindfäden zusammengehalten werden, mit zahnlosen Mündern, mit von der Feldarbeit gekrümmten, buckligen Rücken und faltigen, knotigen Händen, die sich auf den Stock stützen, sitzen sie auf Strohstühlen vor ihren Häusern und beobachten, manchmal feindselig, meist aber wohlwollend, wie die Pilger vorbeiziehen.
Einige Dörfer wurden restauriert, wahrscheinlich um sie als Schaufenster Spaniens ein wenig ansprechender zu gestalten, nachdem der Jakobsweg von Pilgern aller möglichen Nationen immer stärker begangen wird. Aus Scham, den Fremden dieses Elend vor Augen zu führen, versucht man, die Region touristisch aufzuwerten — überall auf dem Land greift die Plage der Coca-Cola-Automaten und der Andenkenläden um sich, und die Gürtel um die größeren Städte werden mit Spekulationsobjekten zugepflastert. Und in der Tat entdeckt das spanische Bürgertum nach der fieberhaften Landflucht- zwanzig Jahre später als in Mittel- und Nordeuropa — allmählich wieder die Freuden eines Hauses auf dem Land, wo man der rasant zunehmenden Umweltverschmutzung in den Städten zu entfliehen hofft. Die Grundstücksspekulation feiert fröhliche Urständ, die Preise steigen, doch das alles verbessert die Lebensbedingungen der längst ausgebluteten Landbevölkerung nicht.
Aber so ist es überall auf der Welt.
Alle sind erschöpft von der anstrengenden Wanderung über die Meseta, nur Mathilde und Guy marschieren fröhlich vor sich hin.
Vor allem Claude lässt den Kopf hängen.
Ramzi hat mitbekommen, dass Camille und Said eine lange und entscheidende Aussprache hatten, und er brennt darauf, die Fortsetzung ihres Liebesromans zu erfahren. Doch die Informationen dringen nur spärlich und etwas entstellt zu ihm durch, und auch nur dann, wenn er mit seinem Vetter allein und ausreichend weit von den anderen entfernt ist, damit niemand mithören kann.
Ramzi: »Und?«
Said, leise: »Sie hat mich >mein Süßer< genannt, und wir haben über Kinder gesprochen...«
Ramzi ist außer sich vor Freude.
»Was? Kinder? So weit seid ihr schon! Wahnsinn!«
Er fällt Said um den Hals, küsst ihn und wirbelt ihn herum.
Auf einem trockenen, topfebenen Feld mit roter Erde, das sich kilometerweit in alle Richtungen zieht, macht die Gruppe im Schatten eines zerbrochenen, zurückgelassenen kleinen Karrens Rast.
Die Wanderer drängen sich aneinander, der Schatten des Karrens reicht kaum für alle aus.
Guy steht in der Sonne, topfit sagt er: »Nur noch dreizehn Etappen.«
Alle sehen ihn an. Ein hartes Brot...
Die Pilger wandern eine Straße mit verfallenen Häusern entlang. Nebel, Regen.
Sie tragen ihre
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