Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
da?«
Fratelli
schüttelte den Kopf. »Gehen wir solange in mein Büro.«
Auf dem
Weg dorthin reichte mir Frau Mönch ein Bündel Papiere. »Ich habe mir erlaubt, den
Projektplan zu aktualisieren, es sind aber nur ein paar kleine Änderungen.« Sie
schaute zu Wolf. »Ihnen habe ich den Plan gemailt.«
»Ich hab’s
mitverfolgt«, sagte dieser und versuchte, sie aufzuziehen: »Waren es heute fünf
oder sechs Aktualisierungen? Einmal haben Sie nur ein Komma hinzugefügt.«
»Wir im
Verlag sind halt genaues und penibles Arbeiten gewohnt, Herr Wolf«, entgegnete sie
kalt. »Wenn drüben bei Ihnen im Ordinariat Laissez-faire herrscht, so ist das Ihre
Sache.«
Fratelli,
der den Dialog mitbekommen hatte, lächelte begeistert über Mönchs Schlagfertigkeit.
Nachdem
wir in seinem Büro Platz genommen und die beiden ihre Tassen gefüllt hatten, fragte
mich der Verlagsgeschäftsführer: »Haben Sie inzwischen das Ordinariat und den Dom
besichtigen können? Gibt es erste Verdächtige? Haben Sie ein Motiv gefunden?«
»Zum Motiv
fallen mir spontan mindestens 95 Thesen ein.«
Ich musste
grinsen. Die 95 Thesen hatten sich in meinem Leben unauslöschlich eingebrannt. In
der vierten Klasse hatten wir einen uralten Religionslehrer, der ziemlich nuschelte
und die Endungen von vielen Wörtern verschluckte. Hinzu kam, dass man früher Kindern
unbekannte Wörter eher selten erklärte. Als die 95 Thesen drankamen, verstand ich
die Welt nicht mehr. Was wollte Luther damit bezwecken? Erst Jahre später, ich war
bestimmt schon 14 oder 15, las ich einen Artikel über die Sache, der den Irrtum
aufklärte. Als Neunjähriger hatte ich den Lehrer nämlich so verstanden, dass Luther
nach der Legende 95 »Thes« an eine Kirchentür nagelte. Und das war für mich der
Buchstabe ›T‹. In meiner kindlichen Fantasie hatte Luther große, kleine, bunte und
verschnörkelte ›T‹ an der Kirchentür befestigt.
Doch mit
diesem Thesenmissverständnis wollte ich die Anwesenden nicht belästigen. Ich blieb
beim Thema.
»Alle, die
ich bisher kennengelernt habe, sind erst mal potenziell verdächtig, Herr Fratelli.
Ob sie etwas mit den Attentaten zu tun haben, ist bisher nicht gesichert. Aus Zeitgründen
konnte ich heute nur einen Teil des Orien…, äh, Ordinariats besichtigen. Dafür war
ich mit Herrn Wolf auf der Orgelempore im Dom.«
»Dort hat
man eine fantastische Aussicht«, erklärte Fratelli. »Übrigens, wenn Sie sich den
Dom in Ruhe und völlig gefahrlos anschauen wollen, können Sie das im Internet unter
der Adresse www.kaiserdom-virtuell.de tun. Da finden Sie hochauflösende 360-Grad-Aufnahmen
des Doms. – Innen und außen«, ergänzte er.
»Gefahrlos
ist nichts auf dieser Welt.«
»Aber, Herr
Palzki, was soll dabei schon passieren? Im schlimmsten Fall verkanten sich Ihre
Fingernägel in der Tastatur.«
»Haben Sie
eine Ahnung. Manchmal können selbst zwölf Volt tödlich sein.«
»Zwölf Volt?
Wie soll das denn funktionieren?« Fratelli lächelte herausfordernd.
»Lachen
Sie nur. Wir hatten mal einen Fall, da ist jemandem eine zwölf-Volt-Autobatterie
aus zehn Metern Höhe auf den Kopf gefallen. War sofort tödlich.«
Es klopfte,
und Robert Nönn kam herein. Damit hatte sich unser Spannungsproblem vorerst erledigt.
»Guten Abend«,
begrüßte er uns. »Es wurde leider etwas später, weil ich die Texte für Otterberg
etwas umgeschrieben und aktualisiert habe.«
Wolf griff
sich an den Kopf. »Auf das Theater heute Abend bin ich mehr als gespannt.«
Fratelli
ignorierte ihn. »Kein Problem«, sagte er zu seinem Chefredakteur. »Ich bin da flexibel.
Das lese ich mir während der Fahrt durch.«
»Wie gehen
wir heute Abend vor?«, fragte ich, denn ich wollte endlich zur Sache kommen.
Der Geschäftsführer
schaute auf seine Uhr. »Wir müssen jetzt gleich los. Wir sind mit Herrn Gregorius
Lapa, dem Pfarrer von Otterberg, verabredet. Das Pfarrhaus liegt direkt neben der
Abteikirche. Lapa hat die Veranstaltung vor Ort organisiert. Er wird uns durch die
Abteikirche führen wollen, obwohl wir sie in- und auswendig kennen. Aber vielleicht
ist es für Sie, Herr Palzki, interessant. Dann folgt im Kapitelsaal unser Vortrag.
Und anschließend fahren wir wieder heim.«
Wolf machte
ein paar Geräusche, die auf Unzufriedenheit schließen ließen. »Wollen Sie das wirklich
machen? Die alten Themen interessieren doch keinen Menschen! Letztes Jahr, okay,
da wurde das Salierjahr von der Presse aufgebauscht, aber jetzt?«
»Herr Wolf,
der Vortrag
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