Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
Student
der Archäologie spritzte auf. »Herr Palzki, was machen Sie hier? Ist das ein Zufall?«
»Es ist
niemals ein Zufall, wenn wir uns begegnen, Herr Becker.«
Pfarrer
Lapa erwachte aus seiner Sprachlosigkeit. »Sie kennen sich, meine Herren? Das wusste
ich nicht.«
Joachim
Wolf strahlte übers ganze Gesicht und ging auf den Krimiautor zu. »Hallo, Herr Becker,
ich will nur sagen, dass ich von Ihren Büchern begeistert bin. Wann wird Ihr nächstes
Werk erscheinen?«
Becker schien
geschmeichelt. Angewidert sah ich weg und begutachtete die zweite anwesende Person.
Der junge Mann, etwa in Beckers Alter, war in der Zwischenzeit ebenfalls aufgestanden.
Seine Körpergröße von annähernd zwei Metern war zwar ungewöhnlich, aber weniger
verdächtig als das Buch, das er in den Händen hielt.
»Wer sind
Sie?«, fragte ich ihn.
Becker antwortete
an seiner Stelle. »Das ist Felix, ein Freund und Studienkollege von mir, der mich
nach Otterberg gefahren hat.«
»Was lesen
Sie da für Literatur?« Diesmal musste dieser Felix selbst antworten.
»›Die Leiden
des jungen Werthers‹ von Johann Wolfgang von Goethe«, antwortete er verschüchtert.
»Warum?«
»Brauchen
Sie das für Ihr Studium?«
Er schüttelte
den Kopf. »Nein, das lese ich aus Privatvergnügen. Den ›Faust‹ habe ich gerade fertig.«
»So einen
wie Sie hätte ich vor 30 Jahren noch verhaftet.«
Alle Anwesenden
inklusive Felix starrten mich an.
»Aber, Herr
Palzki«, meinte schließlich Becker, »sagen Sie nicht immer, dass nur ein Richter
Personen verhaften darf? Polizeibeamte dürfen doch nur vorübergehend jemand festnehmen.«
Ich fixierte
den Krimiautor. »Ja, heutzutage ist das leider so. Wir Polizisten sind nur die Marionetten
von Staatsanwaltschaft und Richtern. Aber damals durften wir noch selbst entscheiden
und in solch eindeutigen Fällen auch jemand verhaften.«
Ich seufzte
bewusst extrem laut. Wer heutzutage in seiner Freizeit freiwillig Goethe las, musste
irgendetwas auf dem Kerbholz haben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich durch
die Pflichtlektüre dieser sogenannten klassischen Literatur während meiner Schulzeit
traumatisiert war. Ein Lehrer, der geistig und auch optisch in der Goethezeit lebte,
hatte uns allen die Lust am Fach Deutsch genommen. In der Oberstufe war die Lehrerschaft
dann darüber verwundert, dass mangels Teilnehmer kein Leistungskurs Deutsch zustande
kam. Vor ein paar Jahren wollte ich meinen guten Willen zeigen und habe mir in der
Bücherei einen Goethe ausgeliehen. Nach fünf Seiten war es mit meinem guten Willen
wieder vorbei.
Während
ich überlegte, hörte ich zwangsläufig, wie sich Wolf bei Becker einschleimte.
»Ihre Krimis
finde ich so was von genial, die letzten beiden mit der Eichbaum-Brauerei und mit
dem Serienmörder in der S-Bahn finde ich am besten. Und bei der Beschreibung der
bizarren Polizeibeamten bekomme ich fast jedes Mal einen Lachkrampf. Hoffentlich
ist unsere Polizei in Wirklichkeit nicht so.«
Becker wurde
knallrot. Ich wusste, dass er normalerweise etwas Bissiges sagen würde, er sich
das aber in meinem Beisein verkneifen musste.
»Sehen Sie
es so«, wand er sich heraus, »ein bisschen Fantasie ist natürlich immer dabei. Im
Großen und Ganzen versuche ich aber, möglichst authentisch zu schreiben.«
Dieser Lügenbold,
dachte ich. Nichts, aber auch gar nichts haben seine Bücher mit der tatsächlichen
Polizeiarbeit zu tun. Ich nahm mir vor, irgendwann selbst mal einen Krimi zu schreiben,
um die arme irregeleitete Bevölkerung aufzuklären.
Ich ließ
den beiden ein paar Minuten und begab mich zu dem exquisiten Buffet. Pfarrer Lapa
verstand es, seine Gäste zu bewirten. Um von der Vielfalt möglichst wenig zu verpassen,
stopfte ich mir die Häppchen tunlichst unauffällig im Akkord hinein. Bauchweh und
Sodbrennen würden später kommen, jetzt war es Hunger, den es zu bekämpfen galt.
Als ich hörte, wie die beiden sich über den ermittelnden Kommissar in Beckers Bücher
lustig machten, intervenierte ich.
»Herr Becker,
Sie wollen uns bestimmt verraten, warum Sie hier sind? Oder sind Sie nur wegen der
Vortragsreihe gekommen? Sie schreiben für das Bistum einen Krimi, habe ich gehört.
Gehört dazu auch das Fotografieren der Orgelempore im Dom? Würden Sie mich bitte
mal aufklären?«
Der Student
wurde ernst. »Da hat eins mit dem anderen nichts zu tun. Ich wusste zwar, dass heute
Abend Herr Fratelli und Herr Nönn kommen, mein Hiersein hat aber andere Gründe.
Im Dom war ich
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