Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
genug
gesehen.« Zusammen mit dem Kanzleidirektor ging ich nach unten. Wolf sagte mir zu,
dass er uns ein paar Fotos mit Detailaufnahmen besorgen würde.
10
Die Zisterzienserverschwörung
Wir traten aus dem Dom. Damit war
die folgende Szene unausweichlich. Na ja, auf eine weitere Skurrilität kam es heute
wirklich nicht mehr an. Bei so vielen schrägen Sachen, die ich in den letzten Tagen
in Speyer erlebt hatte, würde mich so leicht nichts mehr schocken können. Doch ich
täuschte mich.
»Hallo,
Herr Palzki«, grölte Dr. Metzger so laut, dass sämtliche Fußgänger im Umkreis seines
Pilgermobils, und auch die Warteschlange vor den Domsteinen, erstaunt in unsere
Richtung gafften. »Darf ich Ihnen eine Stammkundenkarte ausstellen? Dann bekommen
Sie zum Beispiel jede zehnte Weihwasserampulle gratis und ein Schnürsenkelreparaturset
nach Wahl dazu!«
Wolf starrte
uns beide an und schüttelte den Kopf. Bei Gelegenheit musste ich ihn darüber aufklären,
dass man sich als Polizeibeamter seine Bekanntschaften nicht immer selbst aussuchen
kann. Um mich abzulenken, schaute ich mir sein Warenangebot an, das er auf einem
Tapezierertisch neben seinem Mobil ausgebreitet hatte. Irgendwie sah es wie Flohmarkt
aus. Ich stutzte, als ich ein riesiges Sortiment an Wanderschuhen entdeckte. An
und für sich nicht ungewöhnlich, allerdings befanden sich auf vielen Schuhen kleine
Hirschgeweihe aus Plastik. Ich nahm eines der Paare in die Hand, was der Notarzt
sofort bemerkte.
»Die sind
im Sonderangebot, Herr Palzki. Ohne Geweih 40 Euro, mit Geweih sagenhafte 80 Euro.«
»Würden
Sie mir bitte verraten, was daran sagenhaft sein soll? Außer dem Preis, meine ich.«
Metzger
trat näher an mich heran und flüsterte mir ins Ohr. »Sie sind ein helles Kerlchen.
Die Plastikgeweihe bekomme ich im Großhandel für zehn Cent das Stück. Damit werden
die Wanderschuhe veredelt, und ich kann sie für den doppelten Preis verkaufen.«
»Veredelt?«
Ich verstand kein Wort, was auch Metzger auffiel.
»Herr Palzki,
jetzt stellen Sie sich mal nicht so doof an. Die Schuhe verkaufe ich als geweihte
Pilgerstiefel. Pilger und Touristen stehen auf Sachen, die geweiht sind! Da helfe
ich halt ein wenig nach, der Kaiser ist schließlich Kunde, oder so.«
Da Metzger
nun mit ein paar Japanern radebrechte, ergriff ich die Gelegenheit zur Flucht.
»Kommen
Sie, Herr Wolf, wir haben Zeitdruck.«
»Gegen diesen
Typen müssen wir unbedingt vorgehen«, meinte Wolf. »Der bringt uns total in Verruf
mit seinen unseriösen Angeboten. Dabei haben wir einen eigenen Souvenirladen. Natürlich
mit korrektem Warenangebot, nicht so einem Quatsch wie bei dem da.«
Er zeigte
in Richtung Pilgermobil.
»Gerade
gestern habe ich für meine beiden Nichten Bastelbögen der Kaisergruft gekauft. Sie
müssen wissen, mein Patenonkel war Architekt und in den Sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts zumindest teilweise für die Restaurierung des Doms zuständig. Damals
hatte man beispielsweise den Fußboden im Mittelschiff wieder um einen knappen Meter
auf das Niveau abgesenkt, das er ursprünglich mal hatte. Auch der Großteil der Fresken
wurde während der Restaurierung entfernt.«
»Die Kaisergruft
ist aber schon älter, oder ist die auch erst vor 50 Jahren gebaut worden?«
»Na ja,
wie man’s nimmt, Herr Palzki. Die Kaisergräber hat man vor gut 100 Jahren geöffnet,
man hatte nur eine ungefähre Ahnung, wo sie liegen könnten. Die Gruft wurde dann
um das Jahr 1900 herum gebaut, und die Gräber stehen etwa dort, wo sie vorher auch
lagen. Nur früher halt ohne Kaisergruft.«
Wir erreichten
den Peregrinus Verlag ohne weitere Widrigkeiten. Alles sah vollkommen normal aus,
wenn man von den Rissen im Fußboden absah. Wolf und ich gingen durch zum Sozialraum.
Dort saß der stille Redakteur Huber versunken in ein Heft auf einem Hocker.
»Alles wird
gut«, murmelte er zur Begrüßung und vertiefte sich sofort wieder in seine anscheinend
spannende Lektüre.
Wir stellten
unsere Taschen ab, und Wolf bereitete uns zwei Tassen Kaffee zu.
Marco Fratelli
und Nina Mönch kamen hinzu.
»Ich habe
Sie von meinem Bürofenster aus kommen gesehen«, sagte der Geschäftsführer. Die Marketingleiterin
kaute ihr obligates Nutellabrot. Mich würde brennend interessieren, wie sie es schaffte,
so schlank zu sein.
»Haben Sie
den Nachbarschaftsstreit beenden können?«, fragte diese, nachdem ihr Mund leer war.
»Wir arbeiten
dran«, antwortete ich. »Ist Herr Nönn bereits
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