Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
fasste sich als Erster und fühlte vor. »Sind Sie wegen des bedauerlichen
Unfalls hier oder wegen einer anderen Sache?«
Da ich,
ich erwähne es gerne, hochgradig psychologisch geschult bin, erkannte ich den Trick
sofort.
»Wie man’s
nimmt, Herr Tannenzapf. Ein Polizist interessiert sich stets nicht nur für den einzelnen
Fall, sondern er hält die Augen offen, und nicht selten gibt es dramatische Zufallsfunde.
Was haben Sie eigentlich zurzeit zu organisieren?«
Tannenzapf
stand sichtbar ein Fragezeichen im Gesicht. »Was meinen Sie damit?«
»Na ja,
als Organist gibt es doch bestimmt immer was zu organisieren, oder?«
Das Fragezeichen
vergrößerte sich. Es sah aus, als fragte er sich gerade, ob ich ihn veräppelte.
»Dass ein
Organist ein Orgelspieler ist, wissen bereits kleine Kinder.« Mist, wieder mal war
ich unverhofft in ein Fettnäpfchen getreten. Doch meine Spontanität war fast grenzenlos.
»Natürlich
weiß ich das, Herr Tannenzapf, das war nur ein kleiner Spaß. Auch Polizeibeamte
haben mitunter Humor.«
Pflichtbewusst
fielen alle in ein Gelächter ein.
»Dann machen
wir mal weiter in der Vorstellungsrunde. Ich bin Mark Tannenzapf, der Orgelspieler,
wenn Sie so wollen. Er zeigte auf den älteren Herr und sagte: »Das ist Kristoffer
Kirchenhof, mein Stellvertreter.«
Beide schüttelten
mir die Hand.
»Und ich
bin Mark Caspari, der Domkapellmeister.«
Um einem
weiteren Fettnäpfchen zu entgehen, fragte ich nicht nach der Bedeutung seiner Berufsbezeichnung.
Joachim
Wolf hatte in der Zwischenzeit den provisorischen Bretterverschlag untersucht.
»Der Generalvikar
sagte, dass man die Befestigungsschrauben gefunden hat«, meinte er. »Damit steht
eindeutig fest, dass der Metallrahmen mit Absicht in die Tiefe gestürzt wurde.«
Ich betrachtete
mir die Sache ebenfalls und beugte mich über die Bretter.
Unten liefen
die Besucher wie Ameisen durch das Gebäude.
Im Hauptschiff
stand Dietmar Becker und hob gerade einen Fotoapparat vor sein Gesicht. Sein Objektiv
richtete er direkt auf uns, und ich sah, wie er zusammenzuckte, als er mich durch
die Linse erkannte. Fast wollte ich winken, doch ich tat, als würde ich ihn nicht
bemerken. Becker war auf meiner Spur, das war mir klar, seit ich ihn das erste Mal
gesehen hatte.
Doch im
Moment war nicht Becker mein Problem, sondern die vier Herren. Es roch förmlich
danach, dass sie einen Bezug zur Tat hatten.
»Wie stehen
Sie eigentlich zur Herrn Fratelli, dem Geschäftsführer der Peregrinus?«, fragte
ich allgemein in die Runde.
Dass der
Kanzleidirektor sein Gesicht verzog, hätte ich vorhersagen können. Doch er schien
nicht der Einzige zu sein, der offenbar Probleme mit Fratelli hatte. Dies zeigten
mir die Mienen der Anwesenden mehr als deutlich.
»Sagen wir
es mal so«, sagte Alex Mauer. »Wir haben mit unseren jeweiligen Tätigkeiten wenige
Berührungspunkte zu Herrn Fratelli. Er bringt ständig die neuesten und wildesten
Ideen ein, zurzeit wickelt er alle möglichen Gegenstände ein.«
Caspari
fügte an: »Kürzlich hat er versucht, verschiedene große Orgelpfeifen mit Bettlaken
zu verhüllen. Natürlich, ohne uns darüber zu informieren. Da wir die Laken nicht
schnell genug entfernen konnten, hat ein wichtiges Konzert erst mit deutlicher Verspätung
beginnen können.«
»Ich verstehe«,
sagte ich. »Verraten Sie mir zum Abschluss, warum Sie sich wirklich hier oben getroffen
haben?«
Die Frage
war eigentlich nur noch rhetorisch, hatten sie inzwischen mehr als genügend Zeit
gehabt, sich eine einigermaßen plausible Story einfallen zu lassen.
»Das ist
eigentlich schnell erklärt«, antwortete Kristoffer Kirchhof. »Von Ostermontag bis
hin zum zweiten Weihnachtstag wird Kollege Tannenzapf auf den Domorgeln über das
ganze Jahr verteilt alle zehn Orgelsymphonien von Charles-Marie Widor aufführen.
Darüber hinaus haben wir weitere hochrangige und internationale Organisten eingeladen.
Und einer dieser Organisten ist nicht schwindelfrei. Wir befinden uns immerhin 19
Meter über dem Fußboden des Doms. In unserer Besprechung haben wir uns Gedanken
darüber gemacht, wie wir die Öffnung verkleiden könnten, damit auch Nichtschwindelfreie
ohne Probleme die Orgel spielen können.«
»Das ist
doch schön«, sagte ich und glaubte kein Wort. »Haben Sie schon Ergebnisse?«
Alex Mauer
schüttelte den Kopf. »Wir haben gerade erst angefangen, als Sie kamen.« Ich beschloss,
die Besichtigung zu beenden. »Dann lassen wir Sie mal wieder alleine. Ich habe
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