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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Stellen im Fels, ja einzelne Tropfen. Er nahm den Geigerzähler in die rechte Hand und vollführte kreisende Bewegungen. Ein schwaches Piepsen – er war hiergewesen! Aniel war hier vorbeigekommen. Aber wie? Plötzlich erspähte Pirx einen einzigen Moosfleck, grau wie das Gestein. Er kratzte das Moos ab – ein feiner Riß, nicht dicker als ein Fingernagel. Der Haken ließ sich nur bis zur Hälfte einschlagen, aber auch das war schon die Rettung. Er zerrte an der Schlinge – saß er fest? Irgendwie würde er schon halten. Also dann, die linke Hand an den Haken und ganz langsam ... Mit dem Oberkörper in den freien Raum hinausgebeugt, spähte er in den Kamin hinunter, der, halb geöffnet, zum Sprung lockte, als wäre er vor Jahrtausenden für eben diese eine Sekunde geschaffen worden, die jetzt eintreten mußte. Sein Blick sauste in die Tiefe wie ein Stein, bis er einen bläulichen Funken auf dem grau flimmernden Muster des Schutthangs traf.
    Zu dem entscheidenden Schritt kam es nicht.
    »Was ist denn dort?« erklang Massenas Stimme.
    »Gleich ... Moment!« rief Pirx und zog das Seil durch den Karabinerhaken. Er mußte noch einmal hinunterschauen, aber genauer. Wieder beugte er sich vor, hing mit drei Vierteln seines Körpergewichts am Haken, als wollte er ihn mit Gewalt aus der Wand reißen, aber er mußte unbedingt nachsehen, sich vergewissern ...
    Ja, er war es! Nichts anderes konnte aus dieser Tiefe so stark glänzen. Die Route war nämlich schon längst von der Vertikale abgewichen, und er befand sich jetzt an die dreihundert Meter seitlich von der Stelle entfernt, wo sie den Aufstieg begonnen hatten. Er hielt nach Anhaltspunkten in der Tiefe Ausschau. Das Seil schnitt ihm ins Fleisch, er bekam schwer Luft, das Blut pulste in den Augen. Er prägte sich, so gut es ging, die Gliederung des Geländes ein. Der große Felsblock dort unten ließ sich leicht wiedererkennen, obwohl er jetzt nur in perspektivischer Verkürzung zu sehen war. Seine Muskeln zitterten, als er in die Vertikale zurückkehrte. Wir müssen uns abseilen, sagte er sich und packte völlig gedankenlos den Haken, der sofort nachgab, als steckte er in Butter. Da wurde ihm etwas mulmig, aber er verstaute den Haken in der Tasche und überlegte, wie er hinunterkommen sollte. Es glückte, obwohl nicht sehr sauber: Massena schlug an seinem Stand so viele Haken wie möglich in die Wand, verkürzte das Seil, und Pirx scheuerte einfach die acht Meter über den Fels, bis er hing. Ein Stückchen tiefer war ein anderer kleiner Kamin, und von dort an seilten sie sich abwechselnd ab. Als Massena ihn nach dem Grund der Umkehr fragte, antwortete er: »Ich habe ihn gefunden.«
    »Aniel?«
    »Ja. Abgestürzt. Er liegt dort unten.«
    Der Rückweg dauerte keine Stunde. Pirx trennte sich leichten Herzens von seinen Haken. Freilich, es war ein eigentümliches Gefühl zu wissen, daß man nie wieder einen Fuß hierher setzen würde, weder er noch irgendein anderer Mensch, und daß in diesem Fels Eisenstücke steckten, die auf der Erde bearbeitet worden waren und die nun für ewige Zeiten darin bleiben würden, ja eigentlich für immer.
    Krull rannte ihnen entgegen, als sie mit beiden Beinen auf den Blöcken landeten und die ersten unsicheren Schritte machten, als hätten sie das Gehen verlernt. Er rief ihnen schon von weitem zu, er hätte ganz in der Nähe die Patronentasche von Aniel gefunden. Der Roboter mußte sie vorsätzlich abgelegt haben, bevor er die Wand anging, was wiederum ein schlagender Beweis für seine Geistesabwesenheit war, denn die Patronen stellten im Falle eines Sturzes die einzige Überlebenschance dar.
    Massena schien Krulls Sensationsmeldung völlig kalt zu lassen – er machte durchaus kein Hehl daraus, wie anstrengend die Tour gewesen war. Im Gegenteil, er sank ostentativ auf einen großen Felsblock, spreizte die Beine weit auseinander, als genieße er den festen Untergrund, und trocknete sich lange und ausgiebig Gesicht, Stirn und Nacken mit dem Taschentuch.
    Pirx teilte Krull mit, daß Aniel abgerutscht sei. Wenige Minuten darauf gingen sie ihn suchen. Sie hatten ihn bald gefunden. Er mußte mindestens dreihundert Meter durch die Luft gesegelt sein. Der Panzer des Rumpfs war zerschmettert, sein Metallschädel ebenfalls, und sein monokristallines Hirn war als feiner Glasstaub nach allen Seiten verspritzt und glitzerte wie Glimmer auf den weißlichen Steinen.
    Krull war zum Glück nicht so kleinlich, ihnen vorzuhalten, daß ihre Kletterpartie

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