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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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er gemäß Paragraph zweiundzwanzig der Bordinstruktion dem Piloten gestattete, nach eigenem Ermessen zu handeln.«
    »Hohes Tribunal, der Zeuge legt den Wortlaut des Paragraphen zweiundzwanzig der Bordinstruktion falsch aus. In diesem Falle ist Paragraph sechsundzwanzig maßgebend, der Gefahrensituationen behandelt.«
    »Hohes Tribunal, die Situation an Bord des ›Goliath‹ stellte weder für das Raumschiff noch für die Gesundheit oder das Leben der Besatzung eine Gefahr dar.«
    »Hohes Tribunal, der Zeuge beweist hiermit eindeutig seine Böswilligkeit, denn anstatt eine objektive Wahrheitsfindung anzustreben, versucht er per fas et nefas, die Handlungsweise des Angeklagten Pirx, des Kommandanten des Raumschiffs, zu rechtfertigen! Die Situation, in der sich das Raumschiff befand, fällt zweifelsohne unter den Paragraphen sechsundzwanzig!«
    »Hohes Tribunal, der Ankläger kann doch nicht gleichzeitig auch noch die Funktion eines Sachverständigen und Experten für den Tatbestand übernehmen!«
    »Ich entziehe dem Zeugen das Wort. Das Tribunal behält sich hierzu vor, die Frage nach der Kompetenz der Paragraphen zweiundzwanzig oder sechsundzwanzig der Bordinstruktion gesondert zu klären. Fahren Sie in der Beschreibung der Vorfälle an Bord fort, Herr Zeuge.«
    »Calder stellte dem Kommandanten zwar keinerlei Fragen, aber ich bemerkte, daß er ein paarmal zu ihm hinsah. Unterdessen hatte er den Schub der eingekeilten Sonde ausgeglichen, so daß es nicht mehr schwer war, das Raumschiff zu stabilisieren. Als die Flugstabilität wiederhergestellt war, entfernte sich Calder vom Ring, aber er verlangte keine Berechnungen des Rückflugkurses von mir – ich glaubte also, er würde trotzdem versuchen, unseren Auftrag zu Ende zu führen. Als wir über die Roche-Grenze hinaus waren, so gegen sechzehn Uhr, signalisierte er Spitze und versuchte sofort, die Sonde abzuschießen.«
    »Das heißt?«
    »Nun ja, er schaltete die Signale für die Spitzenbelastung ein und gab dann zuerst vollen Schub rückwärts und dann vollen Schub vorwärts. Die Sonde wiegt drei Tonnen. Bei voller Beschleunigung muß sie fast zwanzigmal soviel wiegen. Sie hätte also wie eine Erbse aus der Rampe fliegen müssen. Da er zehntausend Meilen Spielraum hatte, führte er diese Schubstöße zweimal hintereinander aus, aber ohne Ergebnis. Er hatte nur erreicht, daß die Deflexion noch zunahm. Wahrscheinlich hatte sich die Sonde durch die heftige Beschleunigung noch fester in der Rampe verklemmt und ihre Lage so geändert, daß der ganze Abgasstrahl gegen das angelehnte Außenluk schlug, zurückprallte und in den Raum entwich. Die Schubstöße waren unangenehm für uns und auch ein wenig riskant, weil nunmehr feststand, daß die Sonde, falls sie sich überhaupt löste, wahrscheinlich ein Stück vom Außenpanzer mitreißen würde. Es sah ganz so aus, als ob wir gezwungen sein würden, ein paar Männer im Skaphander mit Werkzeug auf den Panzer hinauszuschicken oder auch umzukehren und die verd... Verzeihung ... die eingeklemmte Sonde mitzuschleppen.«
    »Versuchte Calder denn nicht, das Triebwerk der Sonde auszuschalten?«
    »Das konnte er nicht, Herr Richter, weil das Steuerkabel, das die Sonde mit dem Mutterschiff verband, schon durchbrochen war. Es blieb also nur die Funksteuerung, aber die Sonde steckte direkt im Ausgang der Rampe und war durch deren Metallschutz abgeschirmt. Wir flogen etwa eine Minute und entfernten uns von dem Planeten, und ich war schon überzeugt, daß Calder sich doch noch zur Umkehr entschlossen hatte. Er führte ein paar Manöver zu einem sogenannten Sterneneinfall aus – der besteht darin, daß man mit dem Bug des Raumschiffs den gegebenen Stern anvisiert und dabei Wechselschub gibt. Bei normaler Manövrierfähigkeit muß der Stern ganz unbeweglich auf den Bildschirmen zu sehen sein. Natürlich war dem nicht so, wir hatten eine veränderte Flugcharakteristik, und Calder war bemüht, deren Zahlenwerte zu ermitteln. Nach mehreren Versuchen gelang es ihm auch schließlich, den richtigen Schub zu finden, der die Deflexion ausglich. Dann kehrte er um.«
    »Erkannten Sie damals, was Calder eigentlich beabsichtigte, Herr Zeuge?«
    »Ja, das heißt, ich nahm an, er wolle die dritte, noch an Bord befindliche Sonde auf die Umlaufbahn bringen. Wir gingen über der Fläche der Ekliptik wieder herunter, von der Sonnenseite her – Calder machte das einmal genial. Wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, ich hätte es nie für möglich

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