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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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lag. Auch seine Herztöne waren versummt. Er lauschte gespannt – nichts. Dagegen begann die Stille, die ihn vollends ausfüllte, zu dröhnen. Ein dumpfes, unangenehmes Brummen umfing ihn, ein unausgesetztes Rauschen, er hätte sich am liebsten die Ohren zugestopft. Sicherlich ist schon allerhand Zeit verstrichen, sagte er sich. Ich könnte mir ruhig ein paar Strafpunkte einhandeln ... Er wollte die Hände bewegen – aber er hatte nichts, was er bewegen konnte. Hände waren nicht da. Er erschrak nicht einmal, er war nur verdutzt. »Verlust des Körpergefühls« nannte man das, Pirx hatte davon gelesen, aber daß diese Erscheinung so absolut sein würde, hätte er nicht gedacht.
    Offenbar mußte das so sein ... Hauptsache, er bewegte sich nicht ... Wenn man eine gute Placierung erreichen will, muß man eben dies und jenes in Kauf nehmen ... Eine Zeitlang war diese Maxime sein Halt. Wie lange? Er wußte es nicht.
    Allmählich verschlimmerte sich seine Lage.
    Es fing damit an, daß die Schwärze, die ihn umgab, die Finsternis, die er gleichsam selbst verkörperte, von schwachen Fünkchen, von flimmernden Kreisen erhellt wurde. Er rollte die Augäpfel hin und her, und es tröstete ihn, daß er wenigstens diese Bewegungen wahrnahm. Aber dieser Trost hielt nicht lange an – nach wenigen Versuchen waren auch die Augen seiner Gewalt entglitten ...
    Bei diesem Funkeln und Flimmern, Rauschen und Brummen handelte es sich um visuelle und akustische Phänomene – sie waren eine harmlose Einleitung, ein Kinderspiel gegenüber dem, was nun folgte.
    Er zerfiel, das heißt ... was da zerfiel, war nicht etwa der Körper. Von einem Körper konnte man ohnehin nicht mehr sprechen, er hatte schon vor Jahrhunderten zu leben aufgehört, er war Vorvergangenheit, war unwiderruflich verloren. Hatte es ihn überhaupt einmal gegeben?
    Mitunter kommt es vor, daß einem die Hand abstirbt, weil sie schlecht durchblutet ist. Man kann sie mit der anderen, lebenden Hand berühren wie ein Stück Holz. Fast jeder kennt dieses merkwürdige, unangenehme Gefühl, das zum Glück rasch vergeht. Man selbst ist in diesem Zustand ganz normal, man wacht und lebt – nur ein paar Finger sind von Totenstarre erfaßt, sie muten an wie ein Gegenstand, der am übrigen Körper klebt. Pirx aber besaß nichts mehr, ihm war nichts geblieben außer der Angst.
    Pirx zerfiel – er zerfiel nicht in irgendwelche andere Persönlichkeiten, sondern in Ängste. Wovor hatte er Angst? Er wußte es nicht. Er erlebte weder die Wirklichkeit, denn die gibt es nicht ohne Körper, noch den Traum – denn er träumte ja nicht. Er wußte, wo er war und was man mit ihm tat, und es hatte auch nichts mit Trunkenheit zu tun. Nein – es war etwas anderes, er hatte auch darüber etwas gelesen. Es nannte sich »Desorganisierung der Hirnrindentätigkeit, verursacht durch Beraubung des Hirns um seine afferenten Impulse«. Das klang nicht schlecht, aber ...
    Er wähnte sich mal hier, mal dort, alles um ihn herum zerfloß, Richtungen, Berg, Tal, Seite ... Wo mag die Zimmerdecke sein? fragte er sich. Es gelang ihm nicht, sich zu erinnern. Er hatte keinen Orientierungssinn mehr, so wie er keinen Körper und keine Augen hatte.
    Gleich, gleich ..., dachte er. Gleich werde ich wieder Ordnung schaffen. Raum ... Dimensionen ...
    ... Bedeutungslose Begriffe ... Pirx bemühte sich um einen Zeitbegriff. »Zeit, Zeit«, wiederholte er mechanisch, als kaue er ein Stück Papier. Ein Konglomerat ohne jeden Sinn ... Nicht er wiederholte das, sondern irgendein Niemand, ein Fremder, der in ihm war, der sich eingeschlichen hatte ... Nein, es war umgekehrt – er, Pirx, steckte in einem anderen, und dieser andere, dieser Jemand blähte sich auf, wuchs ins Unermeßliche, ins Grenzenlose. Er wandelte in unerfaßbaren Räumen, riesengroß wie ein Ballon ... Es war kein Mensch, es war ein Finger, ein gigantischer Finger ... Weiß der Himmel, wo er herkam ... Der Finger verselbständigte sich, es war bedrückend. Erst blieb er starr, dann aber begann er sich zu krümmen, drohend und verrückt zugleich ... Pirx taumelte im Innern dieses abscheulichen, nichtsnützigen Gebildes hin und her, wurde von einer Seite auf die andere geworfen ...
    Der Finger verschwand. Pirx drehte sich. Kreiste. Fiel wie ein Stein, wollte schreien. Um ihn herum war ein Flimmern – etwas Ovales, Gaffendes, Zerfließendes bedrängte ihn, und wenn er sich bemühte, diesem Spuk die Stirn zu bieten, kroch das flimmernde Etwas auf ihn zu, schien

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