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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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fliegen sollte, warf er doch einige Blicke durch die Scheibe. Es war ein faszinierender Moment. Die Erdoberfläche, von den Linien der Straßen und Kanäle gerillt und durch Siedlungen und Städte bunt befleckt, reinigte sich allmählich von all diesen Spuren menschlicher Gegenwart. Als die letzten verschwunden waren, lag unter dem Schiff die fleckige, von Wolkenfetzen belebte Rundung des Planeten, und der Blick, der von dem Schwarz der Ozeane auf die Kontinente überging, bemühte sich vergebens, etwas zu finden, was durch den Menschen geschaffen worden wäre.
    Aus der Entfernung von mehreren hundert Kilometern sah die Erde leer, entsetzlich leer aus – als sei darauf das Leben erst geboren. Nur ihre wärmeren Gegenden waren durch einen schwachen Anflug von Grün gekennzeichnet.
    Im Grunde hatte er das schon oft beobachtet, aber es beeindruckte ihn immer wieder aufs neue – es lag etwas darin, womit er sich nicht einverstanden erklären konnte. War es der Umstand, daß dabei zum erstenmal die mikroskopische Größe des Menschen gegenüber der riesigen Leere sichtbar wurde? War es der Übergang in den Bereich einer anderen, der planetaren Größenordnung? War es die Erkenntnis der menschlichen Nichtigkeit, der Bedeutungslosigkeit tausendjähriger Bemühungen? Oder verhielt es sich umgekehrt? War es der Triumph dieser Nichtigkeit über die tote, allem gegenüber gleichgültige Gewalt der Gravitation dieses entsetzlichen Quaders – der Triumph des Menschen, der die Wildheit der Bergmassive und die Panzer des Polareises hinter sich ließ und die Gefilde anderer Himmelskörper betrat? Diese Erwägungen oder Gefühle waren nicht von langer Dauer, denn das Raumschiff hatte seinen Kurs geändert, um durch das »Loch« der Strahlungsgürtel, das am Nordpol klaffte, zu den Sternen emporzuschießen.
    Pirx konnte die Sterne nicht länger betrachten, denn die Lichter flammten auf. Während die Triebwerke arbeiteten, um einen Schwereersatz zu erzeugen, wurde das Mittagessen gereicht. Nach der Mahlzeit machten es sich die Passagiere wieder in den Sitzen bequem. Die Lichter verloschen, man konnte den Mond sehen.
    Sie näherten sich ihm von der Südseite. Wenige hundert Kilometer unterhalb des Pols klaffte der Tycho, er spiegelte sich im Sonnenlicht, ein weißer Fleck, der nach allen Seiten Strahlungsgürtel aussandte, deren erstaunliche Regelmäßigkeit ganze Generationen irdischer Astronomen in Erstaunen versetzt hatte, um schließlich, nach der Lösung des Rätsels, Gegenstand von Studentenwitzen zu sein. Hatte man den ersten Studenten nicht eingeredet, der weiße Kreis des Tycho sei das »Loch der Mondachse« und seine strahlende Streifen nichts weiter als dick gezeichnete Meridiane?
    Je mehr sie sich der im schwarzen Vakuum hängenden Kugel näherten, desto deutlicher erkannte man, daß es ein in starren Lavamassiven festgehaltenes Weltbild sei aus einer Zeit von vielen Milliarden Jahren, da die heiße Erde mit ihren Satelliten durch Meteoritenwolken wanderte, durch Reste einer Planetogenese, da eiserner und steinerner Hagel pausenlos gegen die dünne Schale des Mondes schlug, sie durchbohrte, Magmawogen an die Oberfläche warf; und als sich der Raum nach unendlich langer Zeit gereinigt hatte und leer geworden war, erstarb der Globus als ein Schlachtfeld der Epoche bergbildender Katastrophen, bis schließlich seine durch die Bombardierungen verwundete steinerne Maske die Intuition der Poeten und die lyrische Lampe der Verliebten wurde.
    Die »Selene«, die eine Last von vierhundert Tonnen trug – Menschen und Ladung –, drehte sich mit dem Heck zur stetig wachsenden Mondscheibe und begann in Etappen zu bremsen, bis sie sich leicht zitternd in einem der großen Trichter des Kosmodroms niederließ.
    Pirx war schon dreimal auf dem Mond gewesen, davon zweimal allein, das heißt, er hatte sich eigenhändig auf ein Prüffeld gesetzt, das einen halben Kilometer vom Zivilflughafen entfernt war.
    Jetzt konnte er das Prüffeld nicht einmal sehen, denn der riesige, von keramischen Platten eingefaßte Körper der »Selene« wurde auf das Gerüst eines hydraulischen Krans gehoben und fuhr unter die Oberfläche des Flughafens, zum hermetisch abgeschlossenen Hangar, wo eine Zollkontrolle stattfand: Narkotika? Alkohol? Explosive, giftige, ätzende Stoffe? Pirx besaß eine geringe Menge giftigen Materials, nämlich ein flaches Fläschchen mit Kognak, das Matters ihm zugesteckt hatte. Er verbarg es in der Gesäßtasche. Dann gab es

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