Pilot Pirx
sich vor ihnen ein nicht allzu steiler sonnenüberfluteter Hang. Pirx fühlte eine merkwürdige Starre in sich, es war keine körperliche Starre, sondern ein Erschlaffen der Sinne – die dauernde Anspannung tat ihre Wirkung. Alles, was ihn umgab, stürmte auf ihn ein: die wildzerklüfteten Berge, der jähe Wechsel von eisiger Kälte und glühender Hitze, die unendliche Stille ... In diesem Schweigen wirkte der Klang der menschlichen Stimme, die ab und zu im Helm ertönte, unsagbar gespenstisch und unwirklich. Sie paßte nicht zu der toten Umgebung, sie wirkte so paradox wie ein Goldfisch auf dem Matterhorn.
Hinter einem Nadelfelsen, der einen letzten Schatten warf, bog Dr. Pnin ab. Seine Gestalt flammte plötzlich auf, sie wirkte wie mit Feuer übergossen. Auch Pirx schlug blendende Helligkeit ins Gesicht, ehe er begriff, daß sie nun ins grelle Sonnenlicht traten. Sie gingen auf dem oberen Teil des Weges, der erhalten geblieben war.
Sie gingen nun nebeneinander. Die Sonnenschutzblenden der Helme hatten sie heruntergelassen.
»Gleich sind wir da«, sagte Pnin.
Diesen Weg konnten tatsächlich Fahrzeuge benutzen. Er war in den Felsen gehauen, das heißt durch gesteuerte Explosionen gebahnt. Er führte unter dem Überhang des Adlerflügels auf den Kamm, und dort gab es eine Art Paß und dahinter einen natürlichen Felsenkessel. Durch diesen Kessel war es auch nach der Katastrophe möglich, die Station mit Nachschub zu versorgen. Die Lastrakete brachte die Vorräte heran, und ein Spezialmörser schoß die Behälter in das Felsbassin. Einige von ihnen wurden zerschmettert, die meisten jedoch hielten den Aufschlag aus, denn sie hatten sehr widerstandsfähige Panzerhüllen. Früher, als Luna-Hauptstation noch nicht existierte, war das die einzige Methode, die Expeditionen, die sich in die Gegend des Sinus Medii vorwagten, mit Nachschub zu versorgen. Man warf die Behälter von Raketen ab, und da mit Fallschirmen nichts anzufangen war, begann man, die Kisten aus Dural oder aus Stahl so zu fertigen, daß sie dem heftigen Aufprall standhielten. Man warf sie wie Bomben ab und die Expeditionsteilnehmer sammelten sie ein. Die Behälter waren manchmal über einen ganzen Quadratkilometer verstreut. Die Methode erwies sich nun wieder als nützlich.
Von dem Paß führte bis zum nördlichen Gipfel des Adlerkopfes ein Trakt am Kamm entlang; etwa dreihundert Meter darunter glänzte die gepanzerte Haube der Station, die im Halbkreis von Felsen umgeben war. Geröll umringte die stählerne Wanne. Ein paar dieser Brocken lagen auf der betonierten Plattform am Eingang.
»Hätte man denn keinen besseren Platz finden können?« fragte Pirx seufzend.
Pnin, mit einem Fuß auf der ersten Stufe der Plattform, hielt inne. »Was sagten Sie? Mir war, als hörte ich eben Animzew sprechen!« In seiner Stimme schwang ein Lächeln mit.
Pnin verließ sie vier Stunden vor Sonnenuntergang, aber eigentlich ging er in die Nacht, denn fast der ganze Weg, den er zurücklegen mußte, lag bereits in der Finsternis. Langner, der den Mond kannte, hatte Pirx auf dem Hinweg erklärt, daß die eigentliche Nachtkälte erst bevorstehe, denn der Fels sei noch nicht abgekühlt. Der richtige Frost trete erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit ein. Man hatte vereinbart, daß Pnin sich von der Rakete noch einmal über Funk melden sollte, und so geschah es auch. Nach einer Stunde und zwanzig Minuten hörten sie seine Stimme, er hatte den Weg ohne Schwierigkeiten zurückgelegt. Sie wechselten nur ein paar Worte, denn der Start mußte unter schwierigen Bedingungen erfolgen – die Rakete hatte kein Lot, ihre Stützen waren tief in das Geröll gedrungen und wirkten dadurch wie mit Ballast beschwerte Anker. Sie beobachteten den Start, nachdem sie den stählernen Fensterladen beiseite geschoben hatten. Anfangs war nichts zu sehen, denn die Rippen des Hauptkammes verdeckten den Standort der Rakete, aber dann durchbohrte eine feurige Linie die dichte, gestaltlose Dunkelheit, umgeben von einem rostroten Schein – die Staubwolke, die zwischen dem Gestein des Lawinengeländes aufgewirbelt worden war, reflektierte das Licht des Düsenstrahls. Der feurige Schweif stieg höher und höher. Die Rakete selbst war nicht zu sehen, lediglich diese flammende Sehne. Sie wurde immer dünner, vibrierte und zerfiel in Streifen. Es war der normale Pulsschlag eines Triebwerkes, das mit voller Kraft arbeitete. Sie reckten die Köpfe gen Himmel und sahen das feurige Gleis, das
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