Pilot Pirx
außer den Felsen, die auch in der Sonne schwarz wirkten, konnte er nichts erkennen.
»Sehen Sie den Adler? So haben wir diesen Buckel getauft. Das ist der Kopf, dort sehen Sie den Schnabel und dort die Flügel!«
Pirx unterschied im ersten Moment nur eine Anhäufung von Licht und Schatten, weiter nichts. Über dem östlichen Kamm ragte eine gekrümmte Zinne auf; sie schien ganz nahe zu sein, weil ihre Umrisse nicht vom Nebel verwaschen waren. Dann aber erblickte er den Adler. Die Wand, der sie zustrebten, war der Flügel, darüber – vor dem Hintergrund der Sterne – erhob sich der Kopf, und die Zinne war der Schnabel.
Pirx sah auf die Uhr. Sie waren bereits vierzig Minuten unterwegs. Vor der nächsten Schattenzone blieb Dr. Pnin stehen, um seinen Klimatisator zu verstellen. Pirx nutzte die Gelegenheit und fragte seinen Gefährten, wohin der Weg führe.
»Dorthin!« Pnin wies mit der Hand nach unten.
Pirx sah nur die Steinwüste, in ihrer Mitte erkannte er einen aufgeschütteten Kegel, aus dem große Felsbrocken herausragten.
»Dort ist die Platte abgerissen«, erläuterte Pnin. Dann deutete er auf eine Vertiefung im Kamm. »Das ist das Sonnentor. Unsere Seismographen in der Ziolkowski-Station haben die Erschütterung registriert; nach unseren Schätzungen ist etwa eine halbe Million Tonnen Basalt abgestürzt ...«
»Moment mal ...«, sagte Pirx wie im Rausch. »Und wie transportiert man jetzt die Vorräte nach oben?«
»Sie werden es selbst sehen, wenn wir oben sind«, sagte Dr. Pnin und ging weiter.
Pirx folgte ihm. Er zerbrach sich den Kopf, aber es gelang ihm nicht, das Rätsel zu lösen. Transportieren sie etwa jeden Eimer Wasser und jede Flasche Sauerstoff auf dem Rücken? dachte er. Unmöglich!
Sie schritten nun rascher aus. Die letzte Aluminiumstange steckte am Abgrund. Dunkelheit hüllte sie ein. Sie schalteten die Stirnreflektoren ein, ihr Schein hüpfte wie ein Irrlicht von Wandbuckel zu Wandbuckel. Das Gesims, das sie überquerten, war stellenweise nur zwei Handflächen breit, aber hin und wieder hatte es Ausbuchtungen, auf denen man die Beine weit auseinander stellen konnte. Sie gingen wie auf einem Seil über dieses »Regal«; es war leicht gewellt, aber verhältnismäßig eben, und die rauhe Oberfläche bot einen guten Halt. Dennoch genügte ein einziger falscher Tritt, ein Stolpern ...
Weshalb sind wir nicht angeseilt? fragte sich Pirx. Im gleichen Augenblick erstarrte der Lichtfleck vor ihm. Pnin war stehengeblieben.
»Die Leine!«, sagte er.
Er reichte Pirx das Ende. Der zog das Seil durch die Karabinerhaken seines Gurtes und warf es dann Langner zu. Pirx lehnte sich an einen Felsen und sah sich um.
Das ganze Innere des Kraters lag vor ihm. Die schwarzen Lavahohlwege waren zu einem Netz zusammengeschrumpft. Der untersetzte Kegel in der Mitte warf einen langen Schattenstreifen.
Wo war die Rakete? Er konnte sie nicht finden. Wo war der Weg? Auch die Kurven, gekennzeichnet durch die Reihen der Aluminiummaste, waren verschwunden. Nur der große Felsenzirkus war zu sehen; er lag im blendenden Schein. Schwärzliche Streifen zogen sich von Steinhalde zu Steinhalde, helles Felsenmehl unterstrich die Zeichnung des Geländes mit den grotesken Poren der kleineren Krater – allein im Bereich der Mendelejew-Wälle waren es Hunderte. Die größten unter ihnen hatten einen Durchmesser von einem halben Kilometer, die kleinsten waren kaum zu erkennen. Jeder war vollkommen rund und besaß einen Ring, der einen sanft ansteigenden äußeren Hang und einen steileren nach innen hatte. In der Mitte war ein Berg, ein Kegel oder wenigstens ein kleiner Punkt, der einem Bauchnabel ähnelte. Die kleinsten waren getreue Kopien der kleinen, die kleinen schienen den mittleren nachgebildet zu sein, und alle gehörten zu dem riesigen Ringberg, der einen Durchmesser von dreißig Kilometern hatte.
Dieses Nebeneinander von Chaos und Präzision reizte den menschlichen Verstand. In diesem Schaffen und Zerstören von Formen nach einem einzigen Vorbild lag mathematische Genauigkeit und gleichzeitig völlige Anarchie – Anarchie des Todes. Pirx sah und staunte. Am Sonnentor ballten sich noch immer Ströme weißer Glut.
Einige hundert Schritt hinter dem schmalen Steg wich die Wand zurück. Die Männer gingen immer noch im Schatten, aber es war nicht völlig dunkel, denn eine senkrecht aufragende, etwa zweitausend Meter hohe Felskeule reflektierte das Sonnenlicht. Als sie die Geröllzunge überquert hatten, zeigte
Weitere Kostenlose Bücher