Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
den Kopf durch die runde Öffnung in der Decke und erblickte ein verhülltes Teleskop, das einem kleinen Geschütz ähnelte, sowie Kameras der Astrographen und zwei größere Apparate – eine Wilsonkammer und eine Ölkammer mit Vorrichtungen zum Fotografieren von Spuren.
    Die Station diente der Erforschung kosmischer Strahlen, und die Klischees, die dazu benutzt wurden, lagen überall herum: Ihre orangefarbenen Päckchen befanden sich zwischen Büchern, unter den Regalen, in den Schubladen, neben den Betten, sogar in der Küche. Und das war alles? Eigentlich ja – es sei denn, man zählte die großen Wasser- und Sauerstoffbehälter hinzu, die, fest in das Mondgestein eingelassen, unter dem Fußboden ruhten.
    Über der Tür eines jeden Raumes befand sich ein rundes Kontrollgerät, das die Kohlendioxydmenge anzeigte. Darüber hing das perforierte Sieb der Klimaanlage, die lautlos arbeitete. Sie saugte Luft ein, reinigte sie vom Kohlendioxyd, gab die nötige Menge Sauerstoff hinzu, regulierte die Feuchtigkeit und preßte die Luft in die Kabinen zurück. Pirx freute sich über jeden Laut, der ihn aus dem Observatorium erreichte. Wenn die Geräusche verstummten, wuchs die Stille ins Unermeßliche, so daß er das Rauschen seines eigenen Blutes hörte – wie damals im »Irrsinnigen Bad«. Das »Bad« konnte man allerdings jederzeit verlassen ...
    Langner stieg herunter und bereitete das Essen. Er tat dies so leise und so geschickt, daß alles fertig war, als Pirx in die Küche kam. Sie sprachen kaum ein Wort. »Bitte das Salz!« – »Ist Brot in den Dosen?« – »Morgen müssen wir eine frische aufmachen.« – »Tee oder Kaffee?«
    Das war alles. Pirx paßte nun diese Einsilbigkeit. Was aßen sie eigentlich? War es das dritte Mittagessen, das vierte – oder etwa schon das Frühstück des nächsten Tages? Langner sagte, er müsse die belichteten Klischees entwickeln. Er ging nach oben. Pirx hatte nichts zu tun, und er wußte, weshalb. Sie hatten ihn nur mitgeschickt, damit Langner nicht allein war. Von Astrophysik, von kosmischen Strahlen hatte er keine Ahnung, und Langner war viel zu beschäftigt, um ihn in der Bedienung des Astrographen zu unterweisen. Es hatte beim »Bad« den ersten Platz errungen, und die Psychologen behaupteten, er könne nicht wahnsinnig werden. Sie verbürgten sich für ihn. Er war also gezwungen, zwei Wochen Nacht, zwei Wochen Tag auszuhalten. Gott weiß, worauf er warten und worauf er achten sollte.
    Diese »Aufgabe«, diese »Mission«, die ihm noch zwölf Stunden zuvor wie ein unwahrscheinliches Glück erschienen war, zeigte ihm nun ihr wahres Gesicht – das Gesicht einer gestaltlosen Leere. Wovor sollte er Langner und sich selbst schützen? Was für Spuren sollte er suchen? Und wo? Glaubten sie im Ernst, er könne etwas entdecken, was die glänzendsten Spezialisten übersehen hatten – Menschen, die den Mond seit Jahren kannten? Er war doch ein Idiot im Vergleich zu ihnen!
    Pirx saß am Tisch. Er wußte, daß das Geschirr abgewaschen werden mußte, aber er rührte sich nicht. Er wußte auch, daß es darauf ankam, rasch wieder den Hahn zuzudrehen, denn Wasser war kostbar. Es wurde in Form von gefrorenen Blöcken hergebracht und in einer Zweieinhalb-Kilometer-Parabel-Bahn in den Kessel zu Füßen der Station geschossen. Das kostbare Naß durfte nicht vertropfen.
    Aber Pirx rührte sich nicht. Seine Hand lag schlaff auf der Tischplatte. Er hob sie nicht. Sein Kopf war heiß und leer. Finsternis und Schweigen umgaben die stählerne Nußschale der Station. Er rieb sich die Augen – sie brannten, als habe jemand Sand hineingestreut. Nach einer Weile erhob er sich. Er tat dies so schwerfällig, als habe sich sein Gewicht verdoppelt. Er trug die schmutzigen Teller zum Spülbecken, warf sie hinein, daß es schepperte, und drehte den Warmwasserhahn auf. Während er sie von den erstarrten Fettresten säuberte, lächelte er über seine einstigen Träume. Sie waren auf dem Wege zum Mendelejew-Kamm von ihm abgefallen und so weit zurückgeblieben, daß sie nun lächerlich und fremd anmuteten, so fremd, daß er sich ihrer schämte.
    Langner blieb immer derselbe – man konnte einen Tag oder ein Jahr mit ihm verbringen, ohne daß er sich änderte. Er arbeitete gern und regelmäßig. Niemals zeigte er Hast. Er hatte keine Laster und keine Schrullen. Wenn man gezwungen ist, mit einem Menschen längere Zeit auf engstem Raum zu leben, dann neigt man leicht dazu, sich über die geringste Kleinigkeit

Weitere Kostenlose Bücher