Pilze für Madeleine
haben und nachts ihre unzweideutigen Laute der Lust aus Vaters Schlafzimmer zu hören, das kam mir so abnorm vor, als hätte Vater einen Elch oder Fuchs mit ins Haus gebracht.
Eines Nachts wachte ich auf, weil ich pinkeln mußte. Im Halbschlaf öffnete ich die Tür zu dem kleinen Badezimmer, das neben der Treppe im Obergeschoß lag. Madeleine war drinnen. (Vater hatte nie ein Schloß angebracht, weil sowieso nur er und ich das Bad benutzten, und er fand, daß wir keine Geheimnisse voreinander hatten.)
Wenn ich richtig wach gewesen wäre, hätte ich die Tür ebenso schnell wieder geschlossen, wie ich sie aufgemacht hatte, und eine Entschuldigung gemurmelt. Aber ich war nicht richtig wach und stand noch unter dem Eindruck eines verwirrenden, erotischen Traums, in dem Jasmine, meine Flamme aus dem Männermagazin, zusammen mit meiner Hauswirtschaftslehrerin die Hauptrolle spielte. Deshalb blieb ich auf der Schwelle stehen, rieb mir die Augen und starrte auf das Bild, das sich mir bot.
Und das war wirklich traumhaft. Bis heute bin ich nicht ganz sicher, ob ich wirklich wach war.
Die Lampe im Badezimmer brannte nicht, aber es war nicht richtig dunkel. Auf dem Waschbecken stand ein Kandelaber aus Zinn, den wir sonst auf einer Kommode stehen hatten, und der Schein der Kerzen verwandelte die feuchtfleckigen Tapeten in die flirrenden Wände einer Unterwasserhöhle.
Madeleine stand völlig nackt im Bad, gerade der Wanne entstiegen und trocknete sich mit dem Badehandtuch der Landesverteidigung ab. Ihre Haut war feucht und glänzte weiß. Wenn sie sich nach vorne beugte, schaukelten ihre Brüste – sie waren länglich und hingen ein wenig nach unten, wie ein Hefeteig, den man gerade aus der Schüssel fallen läßt – und sie hatte entzückende Andeutungen von Speckröllchen auf dem ansonsten schlanken Bauch. Ein perfekter Körper, auf dem Weg in die mittleren Jahre, ein Seidiger Rißpilz im weiß glänzenden Reifestadium.
»Inocybe geophylla«, sagte ich.
Als sie meine Stimme hörte, zuckte sie zusammen und schaute auf.
»Jesses«, rief sie aus und drückte hastig das Handtuch an den Körper. Milchweiß, mit dunklen, nassen Haaren stand sie da im Schein des Kandelabers und war so schön, daß ich noch einmal ausrief:
»Inocybe geophylla!«
Sie ging an mir vorbei, drückte mit einer Hand das Handtuch an den Körper, während die andere den Kandelaber festhielt, und ich atmete ihren Duft nach Seife und Haut ein.
»Seidiger Rißpilz«, sagte ich noch einmal.
Sie verschwand in Vaters Zimmer, schloß die Tür hinter sich und ließ mich im Dunklen zurück.
Noch tagelang murmelte ich den Namen, den ich ihr heimlich gegeben hatte: Inocybe.
Vielleicht war es diese traumartige Begegnung und das nachwirkende Gefühl von Unwirklichkeit, was mich daran hinderte, die Ernsthaftigkeit ihrer Verbindung zu begreifen. Für mich war Madeleine ein Waldwesen, auch wenn sie in unserer Küche saß und in ihrem nicht ganz verlorengegangenen Dialekt mit Vater sprach. Mir war, als könnte ich durch ihren Pulli und ihre Schminke hindurchsehen und darunter meine weiße zarte Inocybe aus der Welt der Pilzmärchen sehen.
Deshalb traf es mich völlig überraschend, als Vater eines Tages bei Tisch aufstand, sein Glas erhob und die unfaßliche Neuigkeit verkündete: Er und Madeleine würden heiraten!
»Wie nett. Gratuliere, Vater. Gratuliere, Madeleine«, sagte ich.
Madeleine stand lächelnd auf und kam zu mir. Ich blieb sitzen, starrte in den Teller. Sie beugte sich über mich, umarmte mich und drückte mein Gesicht an ihre Brüste.
»Lieber kleiner Gunnar, wenn du möchtest, darfst du mich gern Mama nennen«, sagte sie zärtlich.
Ich konnte nichts dafür. Der Schock war zu groß. Die Tränen quollen hervor, sie waren nicht zu bremsen, sie machten ihre Bluse naß. Madeleine hielt sanft meinen Nacken und wiegte mich an ihrem Busen, dabei summte sie leise etwas, was an ein Wiegenlied erinnerte. Ich erinnerte mich an die einschläfernden, tröstenden Lieder meiner Mutter in der frühen Kindheit: »Eia popeia, schlaf jetzt in der Heia, es blasen drei Winde übers Meer.«
Und kurz darauf echote Vaters Stimme aus der Vergangenheit, ein verächtliches Blöken: »Das Määär.«
Ich war total verwirrt.
Wie sollte meine Zukunft aussehen?
Würden wir alle drei hier in der Kate wohnen? Würde Madeleine mich abends ins Bett bringen und mir einen mütterlichen Gute-Nacht-Kuß geben, ehe sie sich in Vaters Zimmer zurückzog?
Und würde sie
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