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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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sinnlichen Genuß gestatten, den der Geruch und die Berührung des Ledereinbands auslösten.
    Um den Lederduft zu verstärken, öffnete und schloß ich das Album mehrmals hintereinander, immer wieder. Irgend etwas in mir erwachte, machte mich glücklich und traurig zugleich, eine bittere Süße, die mich verwirrte.
    Das Leder folgte nicht der Bewegung des Umschlags, es glitt hin und her, und ich merkte, daß es nicht festgeklebt, sondern lose um das Buch herum gelegt war, wie der Papierumschlag um ein Schulbuch. Das nach innen geschlagene Leder war mit sehr kleinen Stichen festgenäht. Alles war mit großer handwerklicher Fertigkeit ausgeführt.
    Ich weiß nicht, warum ich dann tat, was ich tat – in meiner Erinnerung waren es die Geruchs- und Tastwahrnehmungen, die mich zum Handeln trieben –, plötzlich jedoch bog ich den Einband, so weit es ging, nach hinten. Der Lederumschlag wellte sich wie ein Anzug, der zu groß geworden war, dann glitt er vom Album, auf dessen eigentlichem Umschlag ein blödes Foto von einem kleinen Jungen mit seinem Großvater war, die glücklich eine Briefmarkensammlung anschauten. Ich konnte gut verstehen, daß Mutter dieses Bild unter einem etwas stilvolleren Einband hatte verstecken wollen. Aber der Lederumschlag hielt noch mehr verborgen.
    Ein Foto, ungefähr 20 mal 15 Zentimeter groß. Ich betrachtete es unbeteiligt, aber dann sah ich, daß es ein Portrait meiner Mutter war. Ich hatte sie schon sehr lange nicht mehr gesehen, und da weder Vater noch ich Fotos besaßen, die die Erinnerung wachhalten konnten, verblaßte ihr Gesicht.
    Aber jetzt wurde mein Bild von ihr wieder lebendig. Ich sah sie in vielen Situationen: wie sie die Hände an der Schürze abtrocknete. Wie sie ihre rotblonden Haare in der Morgensonne kämmte. Ihr Gesichtsausdruck, wenn sie im Gemüsegeschäft die Tomaten befühlte. (Sie wandte ihnen gleichsam das Ohr zu, als erwarte sie, daß die Tomaten ein Geräusch von sich geben würden.)
    Das Foto schien neueren Datums zu sein, aber sie sah noch aus wie damals. Helle Haare, helle ungeschminkte Wimpern, einen schönen, langen Hals und einen festen, leuchtenden Blick. Es war kein Farbfoto, aber auch jemand, der meine Mutter nie in Wirklichkeit gesehen hatte, mußte erkennen, daß diese Augen blau waren. Das konnte einfach nicht anders sein.
    Auf der Rückseite stand in Mutters Handschrift: »Wirf es weg, wenn du willst.« Das war alles.
    Ich steckte das Foto wieder in den Ledereinband, sortierte meine Briefmarken ein und stellte das Album ins Bücherregal, Da hat es seither gestanden.

Seidiger Rißpilz (Inocybe geophylla)
     
    Kleiner hübscher Pilz.
    Hut: seidenglänzend weiß.
    Fuß: ohne Ring, weiß, schmal.
    Geruch: spezifisch, am ehesten wie Schlamm oder frisch geschnittene grüne Bohnen.
    Geschmack: mild, nicht gut.
    Giftig.
     
    Bengt Cortin, Pilze in Farbe

6
    Madeleine kam von nun an jedes Wochenende. Sie blieb immer in Vaters Nähe, und wenn wir eine Pause machten und Vater die Körbe der Teilnehmer inspizierte, damit sie keine giftigen Pilze mit nach Hause nahmen, fing er immer mit Madeleines Korb an. Das Bestimmen ihrer Pilze nahm viel Zeit in Anspruch, weil ihre Exemplare seltsame Abweichungen zeigten.
    Listig, wie sie war, brachte Madeleine diese Abweichungen selbst zuwege, indem sie wie ein Doktor Frankenstein der Pilzwelt Hüllenreste auf Arten applizierte, die keine Hülle hatten und Strümpfe an strumpflose Arten. Wurde der Pilz hochgehoben und der Betrug offenbar, rief sie: »Hoppla, da ist etwas abgefallen.«
    Das machte sie nur, um aufzufallen und Vaters Aufmerksamkeit vor allem auf ihren Korb zu richten.
    Vater war überlegen und erfahren genug, um diese billigen Tricks zu durchschauen, aber er murmelte nur: »Eigenartig, eigenartig.«
    Denn schon die Andeutung eines Zweifels ließ ihre goldbraunen Augen vor Verdruß aufblitzen. Doch! Genau so hätte der Pilz ausgesehen, bevor Vater ihn anfasste und zerstörte.
    »Sie haben harte Hände. Harte, unförmige Hände!« sagte sie vorwurfsvoll, und die ganze Gruppe, mich eingeschlossen, hielt den Atem an. Wie konnte sie es wagen, mit Vater in diesem Ton zu sprechen?
    Vater kniete im Moos, schaute hoch und sah Madeleine an.
    »Sie irren sich«, sagte er ruhig und stand auf. »Sie irren sich gewaltig. Ich habe«, da senkte er die Stimme zu einem Flüstern-, »ungewöhnlich weiche und sensible Hände.«
    Er hielt ihr seine hohle Hand hin, in der Madeleines Pilz wie ein Kind in einer Wiege ruhte.
    »Hätte

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