Pilze für Madeleine
war tatsächlich ein wenig schockiert, das muß ich zugeben. Ich hatte solche Sachen natürlich schon an den Mädchen in den Männermagazinen gesehen, aber nie geglaubt, daß Frauen so etwas in Wirklichkeit anziehen würden. Es gehörte irgendwie in meine Phantasiewelt.
Mein Gegenwart störte sie nicht im geringsten. Sie betrachtete mich als süßen kleinen Stiefsohn und weigerte sich, zu begreifen, daß ich ein erwachsener Mann war.
»Gunnar, mein Lieber, hast du meine Nylonstrümpfe gesehen?« zwitscherte sie und hopste durch die Küche.
Ich schüttelte den Kopf und starrte auf mein Frühstücksei, während sie mir durch die Haare wuschelte. Ich war völlig am Boden.
Vater hingegen war erstaunlich unbeeindruckt von ihrer Erscheinung. Er kam in die Küche geschlurft und warf ihr die Strümpfe ins Gesicht.
»Laß deine verdammten Strümpfe nicht überall rumliegen«, zischte er, »ich habe es satt, ständig hinter dir herzuräumen.«
Es war, als hätte sich die Kate in einen Drucktopf verwandelt. Vater schimpfte mit Madeleine, die überall ihre Sachen verstreute und sich weigerte, auch nur irgendwelche Haushaltsarbeiten zu erledigen. Sie fauchte wie eine wütende Katze.
Und ich, ich biß nur die Zähne zusammen. Ich war eifersüchtig auf Vater und völlig wahnsinnig vor Verlangen nach Madeleine. Als ob die Tatsache, daß sie meine Stiefmutter war, sie nur noch attraktiver gemacht hätte. Verbotene Früchte schmecken bekanntlich am besten.
Nach ihren Auseinandersetzungen wurde Madeleine oft übertrieben liebevoll und anhänglich. Sie kroch Vater auf den Schoß, wenn er ein Buch las, kraulte seinen Schnurrbart und lehnte sich wie ein kleines Mädchen an seine Schulter. Ohne seine Lektüre zu unterbrechen, legte Vater den Arm um sie. Sie schlief oft in dieser Position ein, und Vater mußte sie ins Bett tragen.
Da änderte meine Eifersucht plötzlich die Richtung und galt nun Madeleine und nicht mehr Vater.
Hatte Vater in ich jemals auf diese väterliche, schützende Art ins Bett getragen? Nein, nicht einmal als ich erheblich kleiner und leichter als Madeleine war, hatte er mich getragen. Ich erinnere mich an lange, nasse Wanderungen im Wald, wenn meine kurzen Beine vor Müdigkeit schmerzten. Wilde Bäche, über die ich springen mußte, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug. Steile Felsabhänge, die ich mich hochziehen mußte, indem ich mich an kleinen Ebereschen und Steinen festhielt. Nie hatte Vater mir seine Hand gereicht, mich nie auf seinen Arm genommen.
Die Stimmung war angespannt. Wenn Vater und ich nicht hin und wieder auf unseren Pilzwanderungen Dampf abgelassen hätten, wäre die Kate vermutlich explodiert.
Glücklicherweise wollte Madeleine auf diese Spaziergänge nicht mitkommen.
Während dieser Ausflüge wurde Vater wieder mehr er selbst. Er strahlte, wenn er eine ungewöhnliche Spezies fand, und redete wieder philosophisch und charmant über Pilze, so wie man es von ihm gewöhnt war. Und es fühlte sich ganz anders an, wenn er diese Sachen nur zu mir sagte und nicht zu einer ganzen Schar, bei der ich nur eine Randfigur war.
Es war wieder ein bißchen so wie damals, als ich Kind war und wir zusammen in den Wald gingen, nur Vater und ich, und er mir erklärte, welches die giftigsten Pilze waren, was für ein widerliches Geschöpf meine Mutter war und was für ein Glück ich hatte, ihr und den hochnäsigen Meermenschen entronnen zu sein und statt dessen hier im Wald leben zu dürfen.
Und ich dachte, das war die schönste Zeit meines Lebens. Als es nur Vater und mich gab, keine Mutter, keine Stiefmutter, nur die Kursteilnehmer, die am Wochenende kamen und so ungefährlich waren wie Pfifferlinge.
9
Eines Nachmittags, als Vater neben mir auf dem Waldweg ging und zufrieden schmatzend in rohe Täublinge biß, begannen wir ein vertrauliches Gespräch.
»Na Gunnar, wie ist es, hast du inzwischen ein Mädchen gefunden?« fragte Vater.
Ich schüttelte den Kopf und seufzte.
»Nicht? Gibt es denn keine, die dir gefällt?« fuhr er besorgt fort.
Ich hätte nein sagen sollen. Natürlich hätte ich nein sagen und meine schändlichen Gefühle für mich behalten sollen. Aber wie alle Liebenden hatte ich das Bedürfnis, über meine Liebe zu sprechen, das Schweigen war eine Qual, die ich lange genug ertragen hatte. Nun sah ich eine Möglichkeit, ein bißchen von dem zu äußern, was mich bewegte, ohne zu viel verraten zu müssen. Ich fand das schlau.
»Es gibt eine Frau«, sagte ich. »Aber sie ist
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