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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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austauschte. Er hatte seine Bewunderer. Und er hatte die Pilze und den Wald, den er liebte. Eine andere Gesellschaft suchte er nicht.
    Als ich im Alter von sechs Jahren mit Vater in die Kate zog, bekam ich eine Tasche mit Spielsachen mit und ein paar Kinderbücher, die Mutter mir gekauft hatte, damit beschäftigte ich mich in meiner Einsamkeit.
    Das Buch, das mich am meisten beeindruckte und in dem ich oft blätterte, war »Die Wichtelkinder« von Elsa Beskow. Die Bilder lösten stets starke und widersprüchliche Gefühle in mir aus.
    Ich konnte mich mit diesen Kindern identifizieren, die genau wie ich im Wald wohnten. Ich beneidete sie um ihre Nähe zur Natur, ihr Zuhause »tief unter den Kieferwurzeln«, ihre Kleinheit, ihre Freundschaft mit Eichhörnchen und Hasen.
    In ihrem Leben schienen Pilze eine ebenso wichtige Rolle zu spielen wie in meinem. Ich lächelte über den Wichtelvater, der in seiner etwas lächerlichen Tannenzapfenmütze, aber mit unangezweifelter Autorität den Kindern beibrachte »lernt die Pilze unterscheiden, ißt man falsche, muß man leiden« .
    Besonders angetan hatte es mir ein Bild, auf dem der Vater mit einer Axt auf einen kräftigen Steinpilz losgeht, während die Mutter und die Kinder brav die herbstliche Ernte nach Hause tragen. (Auch da waren die Rollen nach Geschlechtern verteilt: die Jungen schleppten die »maskulinen« Pilze, während Mutter und Tochter sich der Beeren annahmen.)
    Diese Kinder waren tatsächlich Pilzkinder. Sie sahen ja sogar aus wie kleine Fliegenpilzknospen mit ihren rotweißgepunkteten Mützen. Sie waren ganz selbstverständlich ein Teil des ökologischen Systems des Waldes.
    Ich spielte auch oft im Wald, aber es war mir nie gelungen, mich mit einem Eichhörnchen oder Hasen anzufreunden. Ich hatte nicht Vaters Heimatgefühl, ich kam mir in dieser Welt aus dunklen Tannen, auffliegenden Vögeln und fliehenden Tieren immer ein wenig fremd vor. Ich dachte jedoch, dieses Befremden würde vorübergehen, und sprach deshalb nie mit Vater darüber.
    Meine Sehnsucht, eines Tages so wie die Wichtelkinder zu sein, war ein Gefühl, das ich mir eingestehen konnte. Es erfüllte mich mit Trost, und ich zweifelte nicht daran, daß ich diesen Zustand irgendwann erreichen würde.
    Aber das Buch über die Wichtelkinder weckte auch andere Gefühle in mir, schmerzliche und verwirrende Gefühle. Hier gab es nicht nur einen Vater – »stark, mutig«, der bestrafte und belohnte. Hier gab es auch eine Mutter, »sanft und lieb«, die tröstete, Wunden verband und die Kinder in ihre weichen Arme nahm.
    Und die Kinder hatten nicht nur Hasen und Eichhörnchen zum Spielen. Sie hatten sich gegenseitig. Wie war es eigentlich, Geschwister zu haben? Das konnte ich mir nicht einmal vorstellen.
    Ich traf ja andere Kinder in der Schule, ich war zwar kein richtiger Außenseiter, aber in ihre Gemeinschaft gehörte ich noch lange nicht.
    In der achten Klasse gehörte ich für kurze Zeit zu einer Gruppe von Jungen und Mädchen, die sich trafen und Bier tranken. Gewöhnlich kletterten wir auf einen großen Felsblock. Wir saßen hoch oben, tranken Bier, schauten übers Land und fühlten uns wie Könige.
    Man ging einfach zum Riesenstein, wie wir ihn nannten, andere kamen nach. Wir kletterten hinauf, öffneten unsere Bierdosen und redeten über Gott und die Welt. Alles andere lag uns zu Füßen. Man hatte den totalen Überblick. Das war eine umkomplizierte, schöne Zeit.
    Auf den Riesenstein kamen auch Mädchen mit. Sie stellten sich schrecklich an beim Hinaufklettern. Sie schrien und lachten, und man mußte ihnen die Hand reichen und sie hochziehen, oder sie von hinten am Po nach oben schieben. Und wenn sie wieder herunter wollten, waren sie betrunken und weich und anhänglich, das war schön.
    War Agneta auch auf dem Riesenstein gewesen? Nicht daß ich wüßte.
    In der Neunten kamen viele nicht mehr zum Riesenstein. Und eines Tages, als ich da oben saß und wartete, kam nur noch ein Junge, der immer mit dabei war. Er hieß Erik, sagte nie etwas und war sehr schüchtern.
    Wir beide saßen den ganzen Abend da oben, und es war so peinlich still. Nur das Öffnen der Dosen und das Zischen des Schaums waren zu hören.
    Ich hatte geglaubt, daß ich dazugehörte, da auf dem Riesenstein. Aber jetzt merkte ich, daß Erik und ich nur Statisten gewesen waren. Die Vorstellung, an der wir teilzuhaben glaubten, spielte nun auf einer anderen Bühne.
    Als es dunkel wurde, kletterten wir herunter, ich fuhr auf meinem

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