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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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überhaupt geboren worden war. Vielleicht war er im Morgengrauen der Welt als zorniger Trieb aus einem Baumstumpf hervorgekommen und lebte dann, genau wie der Hund, weiter bis in alle Ewigkeit, an die Leine gelegt von seinem Mißtrauen und seiner Feindseligkeit.
    Ich konnte nicht einmal sagen, wie sein Gesicht aussah. Während der ganzen Zeit hatte ich ihn immer nur aus der Ferne betrachtet. Wenn er sich seinem Lebenswerk widmete, einem riesigen, kunstvoll arrangierten Holzstapel, konnte man seine Gestalt wahrnehmen: krumm, mager, kariertes Hemd, Bauernmütze. Aber meistens war er nur ein Schatten im Küchenfenster, stand halb hinter dem Vorhang verborgen und bewachte die Straße.
    Manchmal begegnete man seinem Auto, einem rostigen Opel, mit dem er lebensgefährlich schnell durch den Wald raste. Standen wir uns plötzlich auf einer schmalen Strecke gegenüber, mußte ein Auto zurückstoßen. Utbom fuhr nie zurück. Utbom blieb einfach stehen und gab ungeduldig Gas, bis man selbst den Rückwärtsgang einlegte.
    Ich ging die zweihundert Meter, die unsere Grundstücke trennten, zu Fuß zu ihm hinüber. Der Regen grub gewundene Bäche in die Straße. Ich dachte, ich könnte vielleicht mit Utbom über die Straße reden, sie war sehr schlecht und sollte repariert werden. Und die Straße hatten wir schließlich gemeinsam.
    Der Hund war nicht da. Das Halsband lag auf der Erde neben der Laufleine. Man konnte genau sehen, wo die Grenze für die Bewegungsfreiheit des Hundes verlief. Da hörten nämlich die weißlichen Exkremente auf, die das restliche Grundstück bedeckten.
    An der Hausfassade waren große feuchte Flecke, der Verputz war an manchen Stellen abgefallen und offenbarte ein Skelett aus Hühnerdraht und Bambus. Mitten auf dem Hof erhob sich der riesige Holzstapel wie ein merkwürdiges rituelles Gebäude eines primitiven Volkes.
    Irgendwie überkam mich Angst. Ich hatte diese Angst schon immer gespürt, jedesmal wenn ich am Haus und dem räudigen Hund vorbeikam, aber erst jetzt, als ich auf dem Grundstück stand, überkam sie mich richtig. Die Angst drang aus den wunden Wänden des kleinen Hauses hervor. Sie war in der Erde, in der Luft und im Regen.
    Ich klopfte an die Tür. Ich mußte lange warten, bis sie einen Spaltbreit aufgemacht wurde, von einer Sicherheitskette festgehalten. Durch den schmalen Spalt konnte ich Einar Utbom erkennen. Er sagte nichts. Ich sah das Mißtrauen in seinen Augen wie eine Glut im Dunkeln leuchten.
    »Guten Tag, Herr Utbom«, sagte ich höflich. »Erkennen Sie mich? Ich bin Gunnar Haglund, der Sohn von Holger aus dem Nachbarhaus.«
    »Was willst du?« fragte der Alte.
    Ich hörte zum ersten Mal seine Stimme. Sie war erstaunlich hell, fast wie die einer Frau und sehr angespannt.
    »Nichts Besonderes. Ich wollte nur … Es ist so schwierig, durch den Türspalt zu sprechen. Ich kann Sie ja kaum sehen, Herr Utbom.«
    Die Tür wurde ganz geschlossen. Ich wollte schon gehen, da hörte ich ein Rasseln und die Sicherheitskette wurde abgenommen und die Tür ein bißchen weiter geöffnet.
    »Reicht das?« fragte er griesgrämig.
    »Natürlich, danke. Noch besser wäre es … Es regnet ziemlich heftig.«
    Ich wartete auf eine Reaktion, aber die kam nicht.
    »Herr Utbom, darf ich reinkommen?«
    Ich hörte einen tiefen Seufzer. Dann ließ er die Tür los und zog sich ins Innere des Hauses zurück.
    Ich trat ein. Ein muffiger, kellerartiger Geruch schlug mir entgegen. Das Haus war durch und durch feucht. Es gab auch noch andere Gerüche. Stechend, süßlich wie nach verdorbenem Obst. Und etwas Scharfes, Saures wie Erbrochenes.
    Der Alte zog sich weiter ins Haus zurück. Ich folgte ihm durch alle Zimmer, vorbei an gestapelten Kartons, Zeitungen, einem alten Rasenmäher, Autobatterien und allen möglichen anderen Dingen.
    Als wir wieder in der Diele waren, blieben wir beide stehen. Utbom sah aus, als sei er bereit, eine weitere Runde durch die Zimmer zu gehen. Zwischen uns waren etwa drei Meter, und ich verstand, daß das der Abstand war, den er brauchte. An der Wand neben ihm breitete sich ein großer dunkler Fleck aus, wie der Schatten eines unsichtbaren Wesens. Der muffige Kellergeruch war durchdringend: Schimmel.
    »Was willst du?« fauchte er.
    »Wir sind doch nun seit so vielen Jahren Nachbarn. Und ich dachte, es wäre an der Zeit, guten Tag zu sagen.«
    Ich streckte meine Hand aus und hielt sie ein paar Sekunden in der Luft, bis mir klar wurde, wie sinnlos das war, und hob sie dann zu einer Art

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