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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Begrüßungsgeste. Der Alte erwiderte den Gruß nicht.
    »Man weiß ja nie, was passiert und wann man die Hilfe eines Nachbarn braucht«, fuhr ich fort.
    Utbom beobachtete mich, ohne ein Wort zu sagen. Er hielt sich mit der Hand am Türstock fest. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Die Angst, die ich draußen verspürt hatte, gab es auch hier drinnen, nur noch dichter und schwerer. Als ich Utbom anschaute, seinen glühenden, durchdringenden Blick sah, wurde mir klar, daß er die Quelle der Angst war. Es kam von ihm, das schreckliche, eiskalte Gefühl von Bedrohung und Todesgefahr. Es floß aus ihm heraus, zäh und stinkend, wie aus einer entzündeten Wunde.
    »Was willst du?« wiederholte er schreiend und mit schriller Stimme.
    »Ich will Ihnen nichts Böses. Im Gegenteil. Ich will nur ein wenig sprechen, wie zwischen Nachbarn. Ich habe mich bisher nie hierher gewagt, wegen des Hundes. Aber der ist ja weg. Wo ist er überhaupt?«
    Jetzt zitterte er wie Espenlaub, die Hände fuhren zum Gesicht und verbargen es vor Verzweiflung.
    »Er ist tot«, flüsterte er.
    »Tot? Ein so prachtvoller Hund? Er sah so stark und gesund aus.«
    »Eines Morgens lag er einfach in seiner Hütte, die Zunge hing ihm aus dem Maul.«
    Ich konnte fast nicht verstehen, was er hinter seinen Händen hervorpreßte.
    »Wie eigenartig.«
    »Abends hat er gebellt, es war also jemand in der Nähe.«
    »Wer kann das gewesen sein?« fragte ich erstaunt.
    »Das konnte ich vom Küchenfenster aus nicht sehen.«
    Der Alte hatte die Hände vom Gesicht genommen und drückte sie nun in einer seltsam frommen Geste gegen den Brustkorb. Er sprach schnell und stolperte über die Wörter, dabei blickte er mir fest über die Schulter, als würde er zu einer dritten, unsichtbaren Person sprechen.
    »Er bellte fürchterlich. Ich bin hinaus, um nachzuschauen, aber da war niemand. Aber ich glaube, er hat was gefressen. Erst dachte ich, er hat vielleicht ein Kaninchen erwischt.«
    »Kaninchen? Um diese Jahreszeit?«
    »Ja, oder eine Wühlmaus. Er hat auf jeden Fall was gefressen. Und am Morgen lag er da, und die Zunge hing ihm aus dem Maul. Kann es eine Schlange gewesen sein?«
    Du hättest ihn vielleicht ein bißchen besser füttern sollen, dachte ich.
    »Ich habe mir noch keinen neuen Hund zulegen können. Ich besorg mir einen, so bald es geht.«
    Er strich sich mit der Hand über den Arm, als wolle er sich beruhigen, dabei schaute er wild um sich.
    Ohne Hund war dieser Mann schutzlos wie eine Schildkröte ohne Panzer. Ohne Hund hatte er mich nicht daran hindern können, in seine Welt einzudringen, bis zu seiner Tür, und er hatte geöffnet, nicht aus Höflichkeit oder Neugier, sondern aus purer Angst. Er hatte sich jagen lassen wie ein Tier, und jetzt stand er da, an einen Türpfosten gedrängt, und lauschte meinem Gerede von nachbarschaftlichen Beziehungen, er beantwortete meine Fragen über den Hund nur, weil er nicht anders konnte. Er war zu Tode erschreckt. Nichts wünschte er sich mehr, als daß ich wieder abhaute.
    »Ich hoffe, Sie finden einen richtig netten Hund«, sagte ich. »Ich geh dann mal wieder. Es war nett, Sie zu treffen, Herr Utbom. Wiedersehen.«

18
    Ein anderer Grund, warum Vater und ich nie am Ort heimisch wurden, war die Tatsache, daß Vater nicht jagte. Er angelte nicht einmal. Er suchte Pilze. Pilze! Was war das denn? Für die anderen Männer war Pilzesuchen etwas für Frauen, wie Beerenpflücken.
    Was natürlich völlig falsch war. Vater wurde immer wütend, wenn von »Pilze- und Beerensuchen« die Rede war, weil diese beiden Beschäftigungen völlig gegensätzlich waren. Pilzesuchen war eine Wissenschaft, ein edler Sport und eine Kunst. Beerenpflücken hingegen erforderte nicht mehr als Ausdauer und einen starken Rücken.
    Aber die Männer des Ortes verachteten Vater, weil er mit einem Pilzkorb am Arm im Wald umherlief und nicht mit einem Gewehr.
    Die Verachtung war gegenseitig. Vater fand jagende Männer primitiv und unzivilisiert. »Frauen verabscheuen Männer, die töten«, war sein ständiger Kommentar, wenn man im Wald Schüsse hörte.
    Und ich glaube, damit hat er recht. Blut, Leiden, Schlachten, Zerteilen. Das zieht Frauen nicht an. Frauen mögen Pilze.
    Manchmal trafen wir eine Jagdgesellschaft, wenn wir im Wald waren, Vater und ich: die triumphierenden Kerle mit ihrem breitbeinig wiegenden Gang und ihren geliebten Gewehren, den aufgeregten Hunden und den riesigen Elchkörpern, die von einem Traktor gezogen wurden. Besiegt,

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