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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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wuchsen und wie sie aussahen. Und wieso ich keine Vergiftungssymptome gezeigt hätte? Ob ich nicht auch von den Pilzen gegessen hätte?
    Jetzt half kein Murmeln und Schluchzen, er wollte Antworten haben. Ich sagte, daß ich an jenem Abend vegetarisch eingestellt war und daß sich die Pilze in einem Hähnchengericht befanden.
    »Und was hast du gegessen«, fragte der Polizist und schaukelte mit verschränkten Armen und frecher Miene auf dem Küchenstuhl hin und her wie ein ungezogener Schüler.
    »Linseneintopf.«
    »Und warum waren keine Pilze im Linseneintopf? Pilze sind doch vegetarisch, oder nicht?«
    »Ich hatte nicht so viele gefunden, und ich wollte sie ihr zukommen lassen.«
    Diese Antwort schien ihm zu genügen, aber jetzt fragte er wieder nach den Pilzsorten. Ich antwortete ausweichend, aber er blieb hart. Widerwillig berichtete ich vom Höhlenpilz und was ich mir von ihm erhofft hatte.
    Er hört auf zu schaukeln und starrte mich an, als wäre ich ein merkwürdiges Tier.
    »Und woher hattest du diese wahnsinnige Idee? Daß eine Frau auf dich abfahren würde, wenn du etwas Schleimiges unter ihr Essen mischst?«
    Ich hatte Vater versprochen, ihn nicht zu verraten, sogar per Handschlag. Ich starrte zu Boden, kratzte mich am Kopf und murmelte etwas von »altem Volksglauben«.
    Der Polizist verdrehte die Augen und stöhnte.
    »Ich kann mich gar nicht genug wundern über das abergläubische Dunkel, das hier oben in den Dörfern im Wald herrscht. Meine Kollegen aus der Stadt würden mir das nie glauben.«
    Er schüttelte resigniert den Kopf.
    »Und dann auch noch mit deiner Stiefmutter«, sagte er in säuerlichem Tonfall. »Ich habe es ja schon immer gesagt: innerhalb der vier Wände einer abgelegenen Waldkate kann alles passieren. Alles. Inzest, Sodomie, Zauberei, Kindsmord, Teufelsaustreibung und was für absurde Sachen es sonst noch gibt.«
    Er seufzte und ging in der Küche hin und her, vielleicht suchte er nach Spuren von Teufelsaustreibung und Kindsmord.
    Dann sagte er noch, ich solle endlich das Elternhaus verlassen und unter Menschen gehen. Er riet mir zum Besuch einer Volkshochschule, dort könnte man vielleicht ein paar Strahlen der Aufklärung in meine verfinsterte Waldseele schicken.
    Und dann ging er.
    Kaum war er weg, tauchte Vater in der Kate auf.
    »Nun, was hatte der junge Mann auf dem Herzen?« fragte er leichthin. Er meinte natürlich den Polizisten, aber der war gar nicht so jung, bestimmt vierzig.
    »Er stellte ein paar Fragen. Reine Routine«, murmelte ich.
    »Und du hast sie alle ehrlich beantwortet?« fragte Vater.
    Er nahm ein Glasplättchen mit Sporenproben und betrachtete die nächtliche Ernte, die merkwürdigen Muster, die die Pilzhüte auf den weißen und schwarzen Pappen hinterlassen hatten. Diese Abdrücke, schattenhaft diffus und gleichzeitig erstaunlich detailreich, hatten mich schon immer fasziniert. Sie hatten etwas Fotografisches, sahen aus wie Röntgenbilder von inneren Organen, die für einen Laien nicht zu deuten waren, oder wie verschwommene Daguerreotypien einer geisterhaften Séance aus dem 19. Jahrhundert.
    »Ich habe nichts zu verbergen. Es war ein Unfall«, sagte ich.
    »Natürlich«, sagte Vater und untersuchte eine der Pappen.
    »Hast du mich erwähnt?« fügte er hinzu und drehte sich zu mir um.
    Ich merkte, daß seine Augen nicht mehr so unbesorgt waren wie seine Stimme, und ich zögerte etwas mit der Antwort und beobachtete ihn.
    »Dich erwähnt. Vater? Nein, warum sollte ich?«
    »Gut«, sagte Vater und schlug mir auf die Schulter. Jetzt glitzerten seine Augen wieder. »Gut, Gunnar. Das hast du prima gemacht.«
    Sein Lob machte mich stolz, und ich hatte das Gefühl, etwas von meiner Schuld ihm gegenüber gesühnt zu haben.
    Stimmte da etwas nicht?
    Warum war es ihm so wichtig, was ich der Polizei gesagt hatte?
    Mir fiel auch wieder ein, daß er genau wissen wollte, was ich dem Arzt im Krankenhaus gesagt hatte. Das war tatsächlich seine erste Frage gewesen, nachdem er vom Tod seiner Frau erfahren hatte. Würde man in einer solchen Situation nicht eher wissen wollen, wie sie gestorben war, was ihre letzten Worte waren, ob sie hatte leiden müssen. Das möchte man doch wissen, wenn ein Angehöriger gestorben ist.
    Als er da auf meinem Bett saß, hatte ich das Gefühl, daß er sich meinetwegen zurückhielt. Um mich nicht noch mehr leiden zu lassen.
    Aber nun waren ja einige Tage vergangen, und er hätte mit mir sprechen können, hatte Madeleines Tod jedoch nicht mehr

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