Pinguine frieren nicht
Röhre.
»Umgekehrt, besser mit dem Kopf zuerst. Damit man sie später an den Füßen weiter reinschieben kann.«
Wasja nickte.
»Sollen wir gleich Feuer machen, uns ein bißchen aufwärmen?« schlug er vor.
»Verboten«, erklärte Viktor ernst. »Man kann den Rauch sehen. Wir machen Feuer, wenn es dunkel wird!«
Dunkel wurde es etwa zwei Stunden später, und dann heizten Viktor und Wasja den Ofen ein. Wasja erwies sich als gelehrig und friedlich. Er verstand alles im Handumdrehen, und Viktor lehnte mit dem Rücken an der äußeren Röhre des Krematoriumofens und freute sich darüber. Daß Wasja schnell begriff, hieß, er würde schnell allein, ohne Viktor, mit allem klarkommen. Der Ofen wurde heiß, und in der Baracke wurde es wärmer und gemütlicher. Die Augen waren schon so an die Dunkelheit gewöhnt, daß selbst der schwache Strahl der Taschenlampe, [340] mit dem Viktor die Druckanzeiger beleuchtete, grell erschien.
»Und wann ist fetter Freitag?« erklang plötzlich im Halbdunkel der Krematoriumsbaracke Wasjas Stimme.
Viktor öffnete schon den Mund, um zu antworten, aber auf einmal wurde ihm klar, daß er nicht wußte, was heute für ein Wochentag war. Er suchte in seiner Erinnerung nach etwas, an dem er festmachen konnte, was heute für ein Tag war. Aber da war nichts. Es hatte ihm einfach schon lange keiner mehr diese Frage gestellt. Er lebte von gestern auf morgen und dann wieder so, nur daß aus dem ›morgen‹ ein ›gestern‹ wurde. Gestern hatte er endlich Mischa-Pinguin gefunden, gestern hatte man ihm die Freiheit versprochen. Die Freiheit kam ›morgen‹, nur hatte dieser Tag weder Datum noch Namen. Nein, irgendwo, vielleicht gar nicht weit entfernt, dort, wo die gewohnten Gesetze gelten und die Woche in Arbeitstage und Wochenende einteilen, wo Gut und Böse klar festgelegt ist, wo alle die Regeln des normalen Lebens kennen und diesen Regeln entsprechend leben – dort besitzt dieser Tag alles: einen festen Platz im Kalender, eine Eintragung nach Monat und Woche, und einen eigenen Namen, unter dem man ihm in der Geschichte ein Ereignis zuordnen kann. Aber hier in der ›Offshore‹-Zone folgen die Zeit und das Leben anderen Gesetzen. Nur diejenigen, die gezwungen sind, die Zone zu betreten und ihre gefallenen Kameraden zu bringen, um deren Schicksal nach dem Tod zu erleichtern, nur sie kennen Tag und Datum genau. Und vermutlich auch Asa.
»Wir fragen Asa, wenn er kommt!« antwortete Viktor nach einer langen Pause.
[341] 62
›Fetter‹ Freitag war zwei Tage später. In der Frühe kochten Viktor und Wasja Wasser auf dem Feuer, warfen die Nudeln hinein und mischten, als sie gar waren, eine 500-Gramm-Büchse eingelegtes Schweinefleisch darunter.
Bevor Wasja die Büchse öffnete, untersuchte er sie ausgiebig und verwundert.
»In der Einheit in Mosdok hatten wir genau dieselben!« sagte er kopfschüttelnd.
Nach dem Frühstück legte Viktor sich aufs Ohr, während Wasja erst noch lange die Uhr betrachtete, die ihm ein Föderaler in der Nacht geschenkt hatte – zur Erinnerung an den toten Kameraden.
Gegen Mittag jagten tief fliegende Su-Jagdbomber über die ›Offshore‹-Zone. Asas Häuschen erbebte unter den Vibrationen. Viktor, der am äußersten Rand des Bettes geschlafen hatte, fiel aus dem Bett und wurde wach.
Er ging ins Freie, sah sich verschlafen um und erblickte Asa, der auf einem umgekippten Baumstumpf unter einer jungen Kiefer saß. Er ging zu ihm und setzte sich neben ihn.
»Hat Chatschajew nichts über mich gesagt?« fragte er.
»Was sollte er denn sagen?«
»Er läßt mich frei«, verkündete Viktor. »Er hat sein Ehrenwort gegeben.«
»Wenn er es versprochen hat, dann läßt er dich auch frei«, nickte Asa.
Die Worte des Aserbaidschaners lenkten Viktor von seinen eigenen Sorgen ab.
[342] »Wohin haben sie Sewa gestreut?« fragte er.
»In die Tonne in der Ecke«, antwortete Asa düster.
»Vielleicht sollte man ihn nach Hause schicken? Irgendwo gibt es doch seine Adresse?«
»Die gibt es.« Asa wandte Viktor sein rundes Gesicht zu und musterte ihn aufmerksam. »Nur funktioniert die Post hier nicht… Außer du arrangierst selbst was mit den Föderalen und bezahlst es?«
Viktor zuckte die Achseln.
»Ja, vielleicht«, sagte er. Nachdem er kurz nachgedacht hatte, fügte er hinzu: »Ich kann ihn mitnehmen und dann aus Kiew mit der Post schicken… Mir haben sie so aus Moskau die Asche meines Freundes zugeschickt.«
»Gut, ich gebe dir die Adresse«, versprach Asa. »Er
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