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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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von dem Pinguin zu wenden.
    »Mischa! Mischa!« sagte er schon lauter.
    Und der Pinguin machte noch einen Schritt. Viktor berührte seine Brust und streichelte ihn, ohne sich nach den Hunden umzusehen. Aber die Hunde beobachteten stumm das Geschehen. Auf einmal streifte Viktors Hand eine leicht hervortretende, unter dem Gefieder versteckte Narbe. Er fuhr mit dem Finger diese Linie entlang und wußte jetzt, daß wirklich Mischa vor ihm stand.
    »Also bist du es doch«, sagte Viktor.
    Der Pinguin schubste Viktors Hand mit der Brust weg. Man sah, daß die Berührung der Narbe ihm nicht gefiel. Aber gleich machte er noch einen kleinen Schritt und stieß mit der Brust an Viktors Knie. Und diese Geste brachte Viktor die vergessene Vergangenheit zurück, die vergangene Wärme und den Wunsch zu leben. Er fuhr mit der Hand über Mischas Flossenflügel und hörte im selben Moment das Knurren der Hunde. Er zog die Hand zurück, und das Knurren hörte auf.
    ›Die Hunde verteidigen ihn‹, begriff Viktor und lächelte kaum merklich. Es war alles im höchsten Grad absurd, [334] aber das Absurde war erstaunlich real, es beherrschte hier einfach das Leben.
    »He, Zeit zu fahren!« hörte er hinter sich die Stimme des Fahrers.
    Viktor drehte sich um. »Nehmen wir den Pinguin mit?« fragte er.
    »Welchen Pinguin?« Aslan kniff die Augen zusammen und starrte geradeaus.
    Von einem Pinguin wußte Aslan nichts, er dachte einfach, dieser Russe phantasiere vor Angst. Allerdings war er erstaunt, daß die Hunde nicht über den Mann hergefallen waren.
    »Chatschajew hat versprochen, den Pinguin freizulassen«, wiederholte Viktor, den die Schläfenwunde plötzlich wieder heftig schmerzte.
    »Davon hat er nichts gesagt, komm raus!«
    Viktor richtete sich auf und sah überrascht, wie Mischa-Pinguin – oder das, was von ihm übrig war, denn er war wirklich mager geworden – hastig in die linke Ecke des Zwingers tippelte und sich ungeschickt in einer Hundehütte verkroch.
    Aslan, der nicht mehr warten wollte, öffnete die Tür zum Zwinger, kam rein und zog Viktor am Arm heraus.
    Kaum waren sie losgefahren, schlief Viktor wieder auf dem Rücksitz ein. Und Aslan, der sich einmal nach ihm umgeschaut hatte, dachte, daß dieser Russe nicht gefährlich sein konnte, wenn die Hunde ihn nicht angerührt hatten. Chatschajews Schäferhunde waren keine Wölfe, sie stürzten sich nicht auf Kranke und willenlose Sklaven.
    [335] 60
    Viktor erwachte von der Kälte. Er lag in Asas Hütte auf seinem Bett. Als er das weit geöffnete Fenster sah, sprang er auf und machte es zu. Dann blickte er sich um. Auf dem Nachbarbett, in dem früher Sewa geschlafen hatte, war niemand. Die Tür zum Flur stand halb offen. Viktor setzte sich hin und erkannte, daß er in den Kleidern geschlafen hatte. Anscheinend hatte der Fahrer ihn nachts hier so abgeladen. Noch fünf Minuten blieb er so sitzen, um wieder ganz zu sich zu kommen, dann ging er sich waschen.
    Das Haus war leer, draußen funkelte ein märchenhafter Schneeteppich in der Morgensonne, und Viktor fühlte sich auf einmal munter und zuversichtlich, ohne die juckende, lästige Wunde zu beachten, die offenbar einfach nicht verheilen wollte. Schon die kurze Erinnerung an den gestrigen Hundezwinger, die Begegnung mit Mischa-Pinguin und Chatschajews per Satellitentelefon gegebenes Versprechen stimmten ihn froh. Das hatte Sonja wirklich prima gemacht.
    Viktor lächelte vor sich hin. Jetzt mußte er nur noch die Einlösung des Versprechens abwarten. Das war nicht schwer, das war wie Warten auf die Demobilisierung nach dem schon verkündeten Ministererlaß.
    Viktor fühlte sich voller Energie, er hatte Lust zu tanzen, sich auf den Boden zu werfen und Liegestütze zu machen, diese Energie freudig und leichthin an irgendwas zu verschleudern. Als Beweis dafür, daß das Leben weiterging.
    Er ging in den Flur und warf einen Blick in Asas [336] Zimmer. An der Tür blieb er stehen und betrachtete fasziniert die private Welt des aserbaidschanischen Buchhalters. Ein altes, rissiges Ledersofa, ein Tisch aus irgendeinem Klassenzimmer. Auf dem Tisch ein paar Mappen und das Buch, in das Asa die Kunden des Krematoriums eintrug. Unter dem Fenster daneben ein Nachttisch mit einer Karaffe, einem Glas und einem alten Sony-Radio.
    Viktors Blick fiel wieder auf das Buch. Er schlug es auf, beugte sich über den Tisch und begann es durchzublättern. Sein Blick wanderte über die akkurat gemalten Nachnamen, Vornamen, Vatersnamen, Städtenamen. Die

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