Pinguine lieben nur einmal
vorher schon weiß, dass er unverschämt antwortet?
»Ist das alles Musik?«
»Musik. Hörbücher. DVD s.«
DVD s? Ich frage lieber nicht nach.
»Darf ich die mal durchsehen?«
»Um sie dir alle anzuhören, wird dir wohl die Zeit fehlen.«
»War das ein Ja?«
»Nein. Ja wäre ein Ja gewesen.«
Ich schnaube. Janosch gießt dampfendes Wasser in die Tassen und schafft dabei etwas, das mir nur selten gelingt: Er verschüttet nichts.
Ich gehe zum Schrank und sehe mir Janoschs Sammlung an.
»Ein paar werden dir bekannt vorkommen. Wir haben den gleichen Geschmack«, sagt er.
Ich weiß zuerst nicht, was er meint, doch dann entdecke ich viele CD s, die ich auch besitze. Alben von Bands, die ich liebe, Audioversionen von Büchern, die ich anbete. Alle sieben Harry-Potter -Bände fein säuberlich nebeneinander im zweiten Regalfach.
»Woher kennst du meinen Geschmack?«
»Dein Zimmer liegt über meinem Wohnzimmer«, erklärt er, kommt zu mir, stellt meine Tasse auf den Couchtisch und setzt sich aufs Sofa. »Ich höre viel von dem, was du machst. Das Gerücht über die Schärfe der übrigen Sinne ist kein Gerücht.«
»Wer bist du? Daredevil?« Oh Gott! Ich bedaure es schon in dem Moment, in dem ich es gesagt habe. Dieser Scheißsarkasmus kommt immer im falschen Moment zum Vorschein!
Aber Janosch reagiert positiv: »Hey, wie innovativ! Den kannte ich noch gar nicht.«
Ich setze mich ebenfalls und halte bewusst Abstand zu ihm. Das alles fühlt sich an, als würde ich zu tief in seine Privatsphäre eindringen.
Mehrere Minuten, so glaube ich, sind wir still und nippen nur hin und wieder an dem kochend heißen Tee. Janosch hat sich entspannt zurückgelehnt, mit übergeschlagenen Beinen, die Hände um die warme Tasse geschlungen. Ich sitze immer noch zu seiner Linken, als hätte man mir den sprichwörtlichen Stock rektal eingeführt, und versuche, mich zu entspannen.
»Darf ich dich mal was fragen?« Dass ich ihm diese Frage stelle, hat zwei Gründe. Erstens: Ich fühle mich gemeinhin wohler, wenn ich rede, als wenn ich schweige. Zweitens: Ich möchte ein Gespräch unter halbwegs erwachsenen Menschen führen.
»Hörfilmfassung für Blinde. Das haben mittlerweile mehr DVD s, als du denkst.« Janosch nimmt einen tiefen Schluck aus der Tasse und legt mit geschlossenen Augen den Kopf zurück.
»Ich… was?«, beginne ich und bin irritiert.
»Du wolltest doch fragen, warum ich überhaupt DVD s besitze, obwohl ich sie gar nicht sehen kann. Oder?«
»Nein, Sherlock! Ich war kurz davor, etwas Derartiges zu fragen, hab mir aber schon gedacht, dass du deshalb zickig wirst. Ich wollte dir eine andere Frage stellen.«
»Dann tu’s.«
Fast überrascht es mich, dass er keinen Arschlochkommentar ablässt. (Es fällt mir schwer, Janosch in Gedanken zu beschimpfen, aber Gleichberechtigung in guten wie in schlechten Situationen bedeutet schließlich, dass ich auch über einen Blinden denken darf, was ich will. Und Janoschs Kommentare sind Arschlochkommentare.)
»Wie findest du die CD , die du suchst?«
»Gute Frage. Leichte Antwort.« Er greift in ein Fach unter dem Couchtisch und reicht mir einen mehrere Seiten dicken Papierstapel. Ich nehme ihn und halte zum ersten Mal in meinem Leben mit Blindenschrift bedruckte Seiten in den Händen. Mit den Fingerspitzen fahre ich über die oberste Seite, ertaste die kleinen Erhebungen und versuche, ein System zu erkennen.
»A bis E steht im obersten Fach, F bis K im zweiten und so weiter. Das merke ich mir. Der Rest steht da drauf.«
Er streckt mir die rechte Hand entgegen, und ich gebe ihm die Bögen zurück. Dann blättert er zur dritten Seite und lässt die Finger darübergleiten. Plötzlich greift er nach meiner rechten Hand.
»Rechtshänderin?«, fragt er.
Ich nicke und füge beschämt hinzu: »Ich meine Ja.«
»Das mit dem Nicken und Kopfschütteln ist eine bescheuerte Sitte, ich weiß.« Er umfasst meine Finger noch fester. Seine Hände fühlen sich warm und weich an, als er über meine fährt. »Spielst du ein Instrument«, fragt er, »ein Saiteninstrument? Gitarre oder so?«
»Ja«, antworte ich erstaunt, »aber ich habe es seit Wochen nicht mehr in der Hand gehabt.« Er kann mich unmöglich dabei gehört haben.
»Man merkt es an deinen Fingerspitzen, die Hornschicht ist dicker.«
Ich sehe ihn baff an und frage: »Wie kannst du, ich meine, woher…?« Ich bringe den Satz nicht zu Ende, so beeindruckt bin ich.
»Daredevil«, sagt er grinsend und drückt meinen
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