Pinguine lieben nur einmal
heute antworten?«
Ich lächele ihn an. »Mit fünf wollte ich Schreiner werden.«
»Das wäre auf jeden Fall ungeheuer emanzipiert«, grinst Janosch und trinkt von seinem Kaffee. »Aber heute?«
»Heute bin ich keine fünf mehr.«
»Mensch, Feli! Ich meinte damit bloß, dass du einen Wunsch äußern kannst, wie ein Kind: naiv und unrealistisch. Ich versuche auch, dich nicht auszulachen.«
Naiv und unrealistisch? Na, da ist er bei mir an der richtigen Adresse. Ich weiß nicht genau, warum ich ihn nun doch erzähle, meinen naiven Kinderwunsch: »Ich wollte eigentlich immer schreiben.«
Er lächelt ein bisschen und fragt: »Du meinst Romane, oder wie?«
Ich nicke stumm und merke zu spät, dass das quasi keine Reaktion ist. Dann setze ich mich auf die Couch, lege meinen dicken Aktenordner voller Unipapiere auf den Boden und lehne mich zurück.
»Warum weißt du nicht, was du machen willst? Wollen nicht alle Jurastudenten Anwalt oder Richter werden?«
»Ja, alle Jurastudenten wollen zumindest am Anfang Anwalt oder Richter werden. Jedenfalls alle, die sehen können.«
Das mulmige Gefühl ist sofort wieder da. Dieses Gefühl, das mich überkommt, sobald Janosch über die Blindheit redet. Es klingt fast so, als wollte er die anderen dafür verurteilen, dass es ihnen leichter fallen wird, Anwalt oder Richter zu werden. Als wollte er ihnen vorwerfen, dass ihnen mehr Möglichkeiten offen stehen.
»Du sollst einen naiven Fünfjährigen-Wunsch äußern, keinen rationalen. Willst du ein Anwalt sein, ja oder nein?«
Janoschs Kopf wendet sich in meine Richtung, aber er sagt nichts.
»Ich glaube, wenn du jetzt als Fünfjähriger vor mir sitzen würdest, würdest du ja sagen.«
Er rauft sich die Haare und legt das Gesicht in die hohle Hand. »Natürlich würde ich das. Denkst du, ich studiere seit neun Semestern diesen Mist, wenn es nicht das wäre, was ich machen will?«
Nach diesem kleinen Emotionsanfall hat sich Janosch schnell wieder im Griff. Er räuspert sich und trinkt in einem Zug den restlichen Kaffee aus.
»Warum tust du dann so, als ginge es nicht?«, frage ich.
Er schluckt heftig, stellt die Tasse auf den Couchtisch und lehnt sich zurück. »Weil ich Realist bin«, lautet schließlich seine Antwort.
»Nein, du bist Pessimist.«
»Ach, das ist doch das Gleiche.«
Das trifft mich schwer. Also ist die Welt für ihn schlecht? Alles ist schlecht? Alle Leute, die er trifft? Ich kann und will nicht verstehen, wie man so denken kann.
»Aber Janosch, das ist doch…« Ich glaube, es ist Zeit für mich, die Klappe zu halten. Ich begebe mich auf dünnes Eis, auf ein Gebiet, von dem ich keine Ahnung habe. Mir fällt nichts ein, womit ich ihn umstimmen könnte, denn ich kann mich nicht in ihn hineinfühlen, und Janosch würde es sicher auch nicht annehmen.
Daher wechsle ich schnell das Thema: »Also, deine Schwester… ihr versteht euch gut?«
Janosch entspannt sich etwas. »Ja. Sie ist… mir sehr wichtig.«
»Cool.«
»Hast du Geschwister?«
»Ja, einen Bruder. Er ist sechzehn.«
Das Gespräch ebbt ab. Na super. Worüber soll ich jetzt reden? Musik? Bücher? Filme?
Nach weiteren schweigsamen zehn Sekunden– ich hasse diese Stille, Stille steht ebenfalls auf der Liste meiner Erzfeinde– stelle ich ihm rasend schnell drei Fragen: »Lieblingsmusik, Lieblingsbuch, Lieblingsfilm?«
Janoschs Gesicht hellt sich auf. Er lacht, als wären die letzten Minuten nicht passiert, und antwortet: »Ich kann mich schwer festlegen.«
»Okay… dann suche ich jetzt zufällig drei CD s aus deinem Regal raus, und du nennst mir die beste.«
Ich springe auf und ziehe, ohne zu fragen, die Tür von Janoschs Regal auf. Diese Selbstverständlichkeit müsste mir eigentlich unangenehm sein, schließlich breche ich in seine Privatsphäre ein, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Es fühl sich vertraut und schön an.
Wir setzen das Spiel mehrere Runden lang fort und lachen viel. Kommentieren Alben, die wir beide haben, ziehen über Musik her, die wir beide nicht mögen. Wir sortieren die LP s von Bands in Gedanken. Welche war die beste, welche die schlechteste. Ich ziehe mit Begeisterung drei Alben von MUSE aus dem Regal. Janosch findet The Resistance besser als Origin of Symmetry und 2 nd Law nicht ganz so gut wie Black Holes and Revelations. Die alten Alben Showbiz und Absolution kennt er nicht, was eine Schande ist. Ich sage, er sei wahnsinnig, weil Origin mal mindestens genauso gut ist wie The Resistance und man MUSE sowieso
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