Pinguine lieben nur einmal
Besuch
Die Toten Hosen (unplugged)
Anschließend starte ich den Selbstversuch, wie lange man diese Wiedergabeliste hören kann, ohne sich aus dem Fenster zu stürzen. Ich schaffe es tatsächlich neunmal. Hurt von Johnny Cash höre ich noch viele Dutzend Male mehr.
»Stell dich bitte nicht so an«, Cem steht in der Tür.
Ich liege auf dem Bett, starre an die Decke und weigere mich, ihn anzusehen. Ich will nur dieses Lied hören, immer und immer wieder.
»Du wirst noch depressiv«, diagnostiziert Cem, »es ist doch wirklich nicht so schlimm. Nur weil er noch nicht für Freitag zugesagt hat?«
»Nein, weil er einfach komplett zum Kotzen ist.«
»Ach so, dann hab ich mir lediglich eingebildet, dass du seit Wochen bloß noch von ihm redest?«
Ich vergesse, wieder auf Hurt zu klicken, und Invincible beginnt zum zehnten Mal. Die Textzeile »There’s no one like you in the universe« gibt mir den Rest. Gleich ist es so weit. Ich sehe mich schon auf das Fensterbrett steigen. Na ja. Also, ich habe natürlich nicht wirklich Suizidgedanken, aber so ein Sturz aus dem ersten Obergeschoss würde mir bestimmt eine kleine, schöne Ohnmacht bescheren, und ich müsste eine Zeit lang nicht denken.
»Jetzt hör endlich auf, Trübsal zu blasen. Es ist Dienstag. Lass uns einen kitschigen Sat.1-Film gucken.«
»Ich will nicht.«
»Natürlich willst du, bade nicht in deinem Selbstmitleid, das macht nicht gerade attraktiv.«
» AND TONIGHT WE CAN TRULY SAY , TOGETHER WE ’ RE INVINCIBLE «, singe ich laut mit, um nicht auf Cems Gerede hören zu müssen. Als wäre es momentan mein dringendster Wunsch, attraktiv zu sein!
Cem kommt zum Bett und zieht so lange an meinem Bein, bis ich hinter ihm her in sein Zimmer trotte, wo er den Fernseher anschaltet, mich auf seinem Sofa parkt, mir eine Decke um die Schultern legt und mir Schokolade in die Hand drückt, von der ich ein großzügiges Stück abbeiße. Ist ja jetzt egal. Also noch ein Stückchen. Wobei … wohl eher Stück ! Verniedlichungen sind bei meinem Schokoladenkonsum gänzlich unangebracht.
Ausgang des heutigen Filmes? Meine Prognose für halb neun verheißt: Sie, spießige Anwältin Marke knallhart mit Oberlehrerinnendutt und Ordnungszwang, vergisst nach langem Hin und Her und einiger Lügerei ihre Prinzipien und wird glücklich mit ihm, einem unkonventionellen, langhaarigen Künstler, der in seinem »Atelier«, einer renovierungsbedürftigen Lagerhalle, auf einer Matratze haust, auf der sie in einer knappen Stunde Sex haben werden. Mit Sicherheit werden uns die Sexszenen in weichen Sepiatönen präsentiert, wobei sich die Darsteller die Decken über die Köpfe ziehen und sich im hellbraunen Licht ankichern.
Ich will jetzt auch weichgezeichneten Sepiasex haben, bei dem man sich liebevoll unter der Bettdecke anlächeltund im Hintergrund leise Invincible gespielt wird. Bitte.
Es klingelt an der Tür. Ich schlurfe hin und öffne.
Kawumm!
Janosch.
Und er… ACH , DU SCHEISSE ! UM HIMMELS WILLEN !!! Janoschs linke Hand ist in ein blutgetränktes Stück Stoff gewickelt.
»Ich bin nicht besonders gut darin, um Hilfe zu bitten, aber ich kann weder Simon noch meine Schwester erreichen, und ich glaube, so langsam wird das mit dem Blutverlust kritisch.«
»Ich… äh… CEEEEEEM !«
AMBULANZ
Cem verhält sich absolut professionell. Er setzt Janosch auf einen Küchenstuhl, wickelt den blutüberströmten Arm (das Stück Stoff ist, nein, war mal ein weißes T-Shirt) aus und kniet sich neben ihn, um die Wunde zu begutachten.
»Feli, park mein Auto aus, wir fahren ins Krankenhaus.«
»Ich… was? Ich? Nein. Jetzt? Ins Kranken …?« Ich hyperventiliere.
»Feli? Ja, ins Krankenhaus. Das muss genäht werden.« Cem bleibt ganz gelassen. Vermutlich kostet ihn das einige Anstrengung, aber ihm gefällt es, den Arzt spielen zu können.
Ich sammle mich, um wenigstens diesen einen Satz halbwegs gerade rauszubekommen: »Ich kann nicht fahren!«
»Natürlich kannst du Auto fahren«, meckert er mich an und tupft mit einem feuchten Tuch an Janoschs Arm herum.
AAAAAH , ich kann gar nicht hinsehen! Alles ist voller Blut! Ich bin schon unter normalen Umständen kein besonders guter Autofahrer. Wenn ich jetzt runterginge, um Cems Auto auszuparken, würde ich es schnurgerade gegen den erstbesten Laternenpfahl, Briefkasten oder Rentner setzen.
Cem lässt kurz von Janosch ab und kommt zu mir. Er umfasst meine Schultern und flüstert mir zu: »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Hör auf
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