Pinguine lieben nur einmal
spät ist es?«
»Halb zwei.« Halb zwei?? Ich bin schon zweieinhalb Stunden mit ihm zusammen?
»Wow! Schon? Ich muss mich umziehen. Meine Schwester kommt gleich.« Es ist schön zu hören, dass die Zeit für uns beide wie im Flug vergangen ist.
Ich sehe Janosch hinterher, als er ins Bad geht.
Obwohl Untätigkeit sonst zu meinen Lieblingstätigkeiten zählt, fühle ich mich unwohl, als Janosch nach zehn Minuten noch nicht zurück ist und ich nichts tuend auf dem Sofa sitze. Also laufe ich im Zimmer auf und abund begutachte die blitzblanken leeren Arbeitsflächenin der Küche. Janoschs Ordnung macht mich ganz kirre.
Da klingelt es an der Tür. Einen Wimpernschlag später wird ein Schlüssel umgedreht und die Tür mit solchem Karacho aufgerissen, dass ich mich erschrecke. Ein Kind saust in die Wohnung und plärrt Janoschs Namen. Der kleine Junge ist vier oder fünf, hat den süßesten wilden braunen Lockenkopf und ein selten hübsches Kindergesicht. Mit großen graublauen Augen und einem Grübchen im Kinn. Im ersten Moment denke ich, Himmel, Arsch und Zwirn, das ist doch nicht etwa…, dann benutze ich kurz und ausnahmsweise mal meinen Grips und erinnere mich, dass der Junge soeben Janosch und nicht Papa geschrien hat. Nichtsdestotrotz: Das da einen guten halben Meter unter meiner Augenlinie sieht aus wie Mini-Janosch!
Janoschs Schwester Pia kommt in den Raum und strahlt breit, als sie mich sieht. Wieder schenkt sie mir einfilmreifes »Oh, hallo!«, gefolgt von einem »Feli, richtig?«.
Ich nicke und sehe Mini-Janosch hinterher, der jetzt wie wild gegen die Badezimmertür trommelt und lautstark Janoschs augenblickliches Erscheinen fordert.
»Sag mal, Paul, bist du wahnsinnig?«, fragt Pia und zerrt den Jungen am Arm von der Tür weg. Dann guckt sie vom Bad zu mir, während ich angespannt gegen die Küchenzeile gelehnt dastehe. Ich bemerke, dass sie sich angestrengt ein Kichern verkneift, als sie fragt: »Oh nein, wir haben euch doch nicht etwa gestört? Wir sind ein wenig früh. Wenn wir das gewusst hätten«, sie deutet auf die verschlossene Badezimmertür, als habe es irgendeine tiefere Bedeutung, dass Janosch im Bad ist, »dann wären wir später gekommen. Oder gar nicht.«
Irgendwas scheint sie hier misszuassoziieren. Denkt sie etwa… Hey! Warum denkt sie das? Ich überinterpretiere mal wieder auf Hochtouren. Ausgerechnet jetzt kommen auch noch die Traumfantasien wieder!
Hallo, Feli! Du befindest dich in einem Raum mit seiner Schwester und einem Kleinkind, also genug der Sauereien!
Endlich kommt Janosch mit miesepetrigem Gesicht aus dem Bad. Als ihm der kleine Paul sofort in die Arme springt, weicht sein Gesichtsausdruck einem neuen, den ich an ihm nicht kenne. Die beiden scheinen ein eingespieltes Team zu sein.
»Ich geh mit dir schwimmen«, quietscht Paul und legt die Arme um Janoschs Hals.
Menno. Ich will meine Arme auch um Janosch legen dürfen. Ich will auch fünf Jahre alt sein. Dann könnte ich auch einfach wieder Schreiner werden wollen! Fünf zu sein hat nur, aber wirklich nur Vorteile!
»Na, super«, sagt Janosch glücklich und setzt das Kind auf den Boden.
»Ich geh schon mal zum Auto.« Und weg ist Paul, der das Glück hat, fünf Jahre alt sein zu dürfen.
Ich schwinge mir meinen Rucksack über die Schulter, greife nach meiner Jacke und möchte mich stillschweigend aus dem Staub machen.
»Wenn Dienstag euer gemeinsamer Tag ist, können wir unsere Schwimmtreffen auch verlegen, Janosch«, sagt Pia laut.
Mir steigt die Schamesröte ins Gesicht, und ich bin mir sicher, dass Pia es sehen kann. Ich möchte etwas Intelligentes, Charmantes und Schlagfertiges antworten, vollbringe aber mit »Also, Quatsch gemeinsam, nein, also… ääääähh« lediglich das komplette Gegenteil.
»Red keinen Unsinn«, zischt Janosch.
Okay, das war zwar schlagfertig, allerdings nicht besonders charmant.
»Ich geh dann mal«, murmele ich und will nichts lieber, als aufgehalten werden.
»Ja, tschüss«, schrofft Janosch.
Ich husche aus der Tür und höre noch, wie Pia ihren Bruder fragt: »Bist du eigentlich noch zu retten?«
DEPRESSIVE PLAYLIST
An diesem Nachmittag gibt es für mich traurige Musik en masse. Ich erstelle eine Wiedergabeliste mit der Crème de la Crème meiner ultimativen Heullieder:
9 Crimes
Damien Rice
Hallelujah
Jeff Buckley
Run
Snow Patrol
Hurt
Johnny Cash
Invincible
MUSE
Falling away with you
MUSE
Cold Desert
Kings of Leon
Ohne dich
Selig
Ich Steine, du Steine
Peter Fox
Nur zu
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