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Pinguine lieben nur einmal

Pinguine lieben nur einmal

Titel: Pinguine lieben nur einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyra Groh
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zu zittern! Ich fahre, ist schon gut.«
    »Ich komme mit«, flüstere ich und ziehe sofort Schuhe an.
    »Wie ist das passiert? Waren das… Scherben?«, fragt Cem dann Janosch.
    »Ja, eine Tasse«, erklärt er.
    »Gut, hör zu«, sagt Cem zu Janosch, »ich mache dir schnell einen Druckverband, dann fahren wir ins Krankenhaus. Die säubern das– vielleicht sind noch Splitter in der Wunde– und vernähen es. In Ordnung?«
    »Bleibt mir was anderes übrig?«
    Obwohl Janoschs Frage rhetorisch ist, antwortet Cem: »Ja. Die andere Option ist Tod durch Verbluten.«
    » CEM !«, brülle ich ihn an, weil britischer Humor momentan absolut nicht angebracht ist.
    Aber Janosch lacht laut und sagt: »Alles klar. Eins zu null für dich. Leg los.«
    Cem umwickelt Janoschs Hand mit geübten Griffen mit Mullbinden. Ich wusste bis heute gar nicht, dass es in unserem Haushalt Mullbinden zu finden gibt. Gott sei Dank wohne ich mit Cem zusammen. Gott sei Dank wollten mich die Sportstudenten damals nicht in ihrer WG haben und haben mir somit Cem geschenkt.
    Kurz darauf sitzen wir auch schon in Cems Auto und brausen durch die Stadt. Ich würde, glaube ich, nicht mal das Krankenhaus finden. Spontan schicke ich ein weiteres Dankgebet an die Sportstudenten gen Himmel.
    Ich habe das Fenster heruntergelassen, und der kühle Oktoberfahrtwind peitscht mir ins Gesicht. Mir ist kalt, aber ich brauche die Frischluft, um meine Gedanken wieder auf eine klare Frequenz bringen zu können. Ich sitze auf der Rückbank neben Janosch. Seine ganze Körpersprache schreit, dass er nicht mit mir reden will. Er stützt den Kopf in die unverletzte Hand, lehnt die Stirn gegen die Scheibe und verbirgt das Gesicht hinter den Haaren.
    »Was ist denn überhaupt passiert?«, frage ich nach einer Weile.
    Janosch schnaubt und zischt: »Gar nichts. Ein Haushaltsunfall. Passiert jedem mal.«
    »Aber, Janosch, deine komplette Hand ist aufgeschlitzt!«
    »Das kann trotzdem verdammt noch mal jedem passieren«, brüllt er mich plötzlich an.
    Ich schrecke zurück und presse das Gesicht gegen die Scheibe. Nicht weinen, Feli. Bitte nicht weinen. »I hurt myself today, to see if I still feel … « Zwanzigmal habe ich dieses Lied heute schon gehört und musste nicht weinen, also bitte nicht jetzt, wo mir plötzlich die erste Zeile einfällt und die rauchige, vom Alter gezeichnete Stimme Johnny Cashs in meinen Ohren dröhnt.
    Mein Atem wird stockend, ich schlucke mehrere fußballgroße Klöße herunter, meine Augenlider brennen. Als Cem den Wagen auf dem Klinikparkplatz abstellt, aussteigt und Janoschs Tür öffnet, presse ich durch die Zähne hindurch: »Ich bleib hier sitzen.«
    Janoschs Tür ist eben erst ins Schloss gefallen, da fange ich auch schon zu heulen an.
    Er ist so gemein. Er ist schroff, er ist unfreundlich, er wäre fast verblutet, weil er nicht gleich zu mir gekommen ist, um mich um Hilfe zu bitten. Er kann mich nicht um Hilfe bitten. Denkt er etwa, ich will ihm nicht helfen? Denkt er, es ist peinlich, Hilfe zu brauchen? Denkt er, es ist schlimm, sich zu schneiden? Denkt er, ich würde ihm unterstellen, dass ihm das nur wegen seiner Blindheit passiert ist? Traut er mir das zu?
    Wie komme ich eigentlich dazu, ganze Nachmittage damit zu verbringen, ihn anzuhimmeln, wenn er mich dann so vor den Kopf stößt? Er hat mir heute innerhalb eines Tages zweimal wirklich wehgetan. Ich bin mir sicher, dass ihm das auch bewusst ist. Warum kann ich ihn trotzdem nicht als egoistischen Mistkerl abstempeln?
    Weil mich sein Lachen, seine Augen und seine heimlichen Komplimente so bezaubern? Weil mich die Tatsache, dass er bei unserem Gespräch heute Vormittag gesagt hat, dass Invincible sein absolutes Lieblingsliebeslied ist, schlicht und einfach umhaut? Vielleicht auch einfach nur, weil er unglaublich gut riecht?
    Ich heule eine Viertelstunde und warte dann noch mal genauso lange, bis Cem und Janosch wieder am Auto sind. Es hat also nur so kurze Zeit gedauert, um Janosch wieder zu flicken.
    Cems Miene ist kühl, als sie einsteigen. Auf der Fahrt redet er kein Wort. Janosch auch nicht. Und ich auch nicht. Aber kaum dass er den Motor angelassen hat, hat Cem das Radio sowieso provokativ laut gestellt, weshalb es ohnehin unmöglich wäre, ein Gespräch zu führen. Das Kreischen des Popsongs macht es mir leichter, die Heimfahrt zu überstehen, ohne erneut zu heulen.
    TONIGHT WE CAN TRULY SAY
    »Nacht«, brummt Cem trocken und steigt die Treppe in den ersten Stock hoch. Er blickt sich

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