Pinguine lieben nur einmal
MeineFamilie erinnert mich meistens daran, selbige etwas zu reduzieren.
»Wie sieht’s bei dir aus?«
»Na, ich bin Heiligabend bei meiner Mutter und ihren Eltern und am ersten Feiertag bei meinem Vater.« Beim letzten Wort macht es plötzlich in meinem Köpfchen Plumps! Ein nie da gewesenes riesiges Fragezeichen kracht in jenen Teil meiner Festplatte, der seit Pias Hochzeit versucht, Janoschs Stammbaum in Reih und Glied zu halten. Warum ist mir beim Sortieren all der Onkel und Tanten und Rüschenkleidcousinen nicht aufgefallen, dass neben Janoschs Mutter, von der zwei imaginäre Linien zu Janosch und Pia führen, eine Lücke klafft, die jeglicher Biologie widerspricht? Was hat sich mein Hirn denn nur gedacht? Bestimmt mal wieder nichts. Oder dachte es etwa an Samenbank? Adoption? Unbefleckte Empfängnis? Falls mein Hirn tatsächlich eine dieser Optionen in Erwägung gezogen hat, warum hat es sich nicht im Geringsten dazu verpflichtet gefühlt, mich darüber in Kenntnis zu setzen? Jetzt stehe ich da: keine Ahnung von nichts und so dicke Fragezeichen im Schädel, dass man sie sicher in meinen Augen sehen kann.
»Hey, Janosch«, beginne ich. Doch plötzlich bin ich mir gar nicht mehr so sicher, wie ich die Frage am geschicktesten formulieren soll. Bei der Feier war kein Papa. Welchen Grund sollte ein Vater haben, nicht auf die Hochzeit seiner Tochter zu gehen? Er war mit einer solchen Selbstverständlichkeit abwesend, dass niemand über ihn gesprochen hat. Ganz so als würden sich weder Freunde noch Verwandte fragen, wo er denn sei. Mir kommt dafür nur eine Erklärung in den Sinn, nämlich dass er nicht mehr lebt.
Janosch summt ein Ja und zieht sich das T-Shirt über den Kopf.
Was sage ich denn jetzt? Ich beschließe, mich naiv zu stellen. Mich hat nie jemand aufgeklärt, also frage ich ganz direkt: »Triffst du deinen Vater über die Feiertage?«
Janosch lacht höhnisch, so als hätte ich etwas sehr Dummes geäußert.
»Ich… ähm… hab ich was Blödes gesagt?«, hake ich nach.
Janosch verlässt den Raum und schaltet im Wohnzimmer laut Musik an.
»Danke für die Antwort«, murmele ich.
Am nächsten Tag starte ich einen zweiten Versuch. Nachdem ich neben Janosch aufgewacht bin und es warm und schön im Bett war, frühstücken wir Cornflakes auf seiner Couch.
Janosch war gestern Nacht nicht böse mit mir. Er war sogar sehr nett. Ablenkend nett. Sprich-mich-nicht-darauf-an-nett. Aber ich muss es jetzt einfach wissen. Seine Bereitschaft, mir eine einstündige Rückenmassage zu verpassen, hat mich so dermaßen stutzig gemacht, dass es irgendein abgefahrenes Geheimnis geben muss, und abgefahrene Geheimnisse geben mir einen in diesem Fall wahrscheinlich höchst unangebrachten Kick.
Ich stelle meine und Janoschs halbleeren Schüsseln auf den Couchtisch, rücke an ihn ran, lege mich auf seinen Oberkörper und zwirbele seine Haare.
»Janosch?«, zuckersüße ich.
»Willst du noch Cornflakes? Oder einen Toast?«, weicht mir Janosch sofort aus.
»Ja, genau das will ich. Ich habe eben erst meine noch halbvolle Schüssel weggestellt, um dich jetzt um Nachschub zu bitten.«
»Verzeihung. Ich hab nicht gesehen, dass sie noch halbvoll war!«
Jetzt fängt das wieder an! Ich dachte, über die Art von Unterhaltung wären wir hinweg.
»Du weißt, dass ich das nicht gemeint habe.« Ich streichele ihm unter seinem Pulli über den Bauch. »Ich will doch nur…«
»Was willst du? Sex? Bin schon dabei«, Janosch stößt ein falsches, anzügliches Lachen aus, das ich nicht von ihm kenne, presst seinen Mund auf meinen und packt mich fest an den Hüften. Ich löse mich und setze mich aufrecht hin. Ich gebe es ja zu: Einen kurzen Augenblick lang war es erotischer als verwirrend. Aber jetzt ist es eindeutig verwirrender als erotisch. Eigentlich ist es gar nicht erotisch. Es ist alles– nur nicht er.
»Hallo? Was ist los mit dir? Bist du bekloppt?«
»Ich hab doch nur…«
»Nichts hast du. Du versuchst mich mit deinem Geküsse und Geschmuse abzulenken, und du schaffst es auch noch fast!«
Janosch schmunzelt. »Ja, ich weiß, ich bin ganz gut darin.«
»Ist recht, du Angeber. Antworte mir bitte einfach.« Ich falte seine Hand in meine. Die Situation ist fast dramatisch, ja, geradezu theatralisch. Dann stelle ich die Frage: »Was ist los mit deinem Vater?«
Janosch steht so schnell vom Sofa auf, dass ich fast herunterkullere. Er tastet nach den Schüsseln, läuft zur Spüle und wirft sie so heftig ins Becken, dass es
Weitere Kostenlose Bücher